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Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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und kleinen mechanischen Teile. Dann ölte ich sie noch einmal und fuhr mit einer Rundbürste durch die Läufe, bevor ich die Waffen wieder zusammensetzte. Ich mochte es, wie die .45er schwer in meiner Hand lag, wie präzise das Magazin in den Griff paßte, wie sich meine Fingerabdrücke in feinen Linien auf dem frischgeölten Metall abzeichneten. Eines Tages lud ich das Magazin mit Hohlspitzgeschossen, ging hinunter zum Ententeich an der Rückseite meines Grundstücks, ließ eine Patrone in die Kammer gleiten und nahm ein breites grünes Hyazinthenblatt ins Visier. Aber ich drückte nicht ab. Ich senkte die Automatik, hob sie dann wieder und zielte erneut. Der Nachmittag war sonnig und warm, und das Gras glänzte mattgrün im Sonnenlicht. Ein zweites Mal nahm ich die .45er runter, nahm das Magazin heraus und steckte es in die Hüfttasche meiner Hose. Ich zog den Schlitten zurück und warf die Patrone aus der Kammer. Ich sagte mir, daß ein Pistolenschuß, der in der Tat ohrenbetäubend war, nur die Nachbarn aufschrecken würde.
    Ich ging wieder ins Haus, steckte die .45er unter einige Hemden in meiner Ankleidekommode und kümmerte mich nicht weiter drum.
    Mit den Nächten kam ich nicht gut zurecht. Manchmal ging ich nach dem Abendessen noch mit Alafair, meiner Adoptivtochter, auf ein Eis zu Vezey’s in New Iberia. Danach, auf der Fahrt zurück über die unbefestigte Straße entlang des Bayous, im nachlassenden Licht der Abenddämmerung, Leuchtkäfer funkenstiebend am Nachthimmel, fühlte ich auf einmal einen namenlosen Druck, für den es keinen ersichtlichen Grund gab. Ich versuchte vor ihr zu verbergen, wie sehr ich mit mir zu kämpfen hatte, aber obwohl sie erst in der zweiten Klasse war, erkannte sie meine Stimmungen immer treffsicher und ließ sich von mir nicht täuschen. Sie war ein schönes Kind, mit einem runden, gebräunten Gesicht, einem breiten, indianischen Gebiß und glänzendem schwarzen Haar im Ponyschnitt. Wenn sie lächelte, konnte sie kaum mehr aus den Augen sehen, und niemand wäre darauf gekommen, daß sie in ihrem Dorf in San Salvador Zeugin eines Massakers geworden war, oder daß ich sie aus einer Luftblase im Wrack eines Flugzeugs gezerrt hatte, das mit illegalen Flüchtlingen an Bord über dem Meer abgestürzt war.
    Eines Abends merkte ich auf dem Heimweg von der Eisdiele, daß ihre Augen mein Gesicht beobachteten. Ich blickte zu ihr und blinzelte sie an. Wir hatten ein paar neue Kinderbücher gekauft, und sie hatte sie die Fahrt über auf ihren Knien.
    »Warum denkst du dauernd nach, Dave?« sagte sie. Sie trug Jeans mit Stretchverschluß, pinkfarbene Tennisschuhe, ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Ragin’ Cajuns« und eine Baseballmütze der Houston Astros, die ihr mehrere Nummern zu groß war.
    »Ich bin heute nur müde, Kleines.«
    »Bei Vezey’s hat ein Mann Hallo zu uns gesagt, und du hast überhaupt nicht reagiert.«
    »Vielleicht hab ich ihn einfach nicht gehört.«
    »Du lächelst oder spielst gar nicht mehr, Dave. Wie wenn dauernd was nicht in Ordnung wäre.«
    »Ist es so schlimm?«
    Sie blickte starr nach vorne, und ihre Kappe wippte mit den Unebenheiten in der Straße.
    »Alf?« sagte ich.
    Aber sie wollte weder den Kopf drehen noch antworten.
    »Hey, Kleines, komm schon.«
    Dann sagte sie ganz leise: »Hab ich was getan, daß du traurig bist?«
    »Nein, natürlich nicht. So was darfst du nie denken, Kleines. Schließlich bist du doch mein Partner, oder?«
    Aber ihr Gesicht wirkte verdrossen im tiefroten Abendlicht; ihre dunklen Augen umwölkt von Fragen, auf die sie keine Antwort hatte.
    Nachdem ich mit ihr gebetet und ihr einen Gutenachtkuß gegeben hatte, las ich bis spät in die Nacht, bis meine Augen brannten und ich die Worte auf der Seite nicht mehr aufnehmen konnte und die Dunkelheit draußen von den Schreien und Rufen der Nachtvögel und Sumpfbiber zum Leben erweckt worden war. Ich sah mir noch die Spätnachrichten im Fernsehen an, trank ein Glas Milch und schlief schließlich mit dem Kopf auf dem Küchentisch ein. In der Nacht weckte mich das Geräusch von Alafairs Füßen, die in Hausschuhen über den Linoleumboden tappten. Ich blickte auf und sah mit verquollenen Augen in ihr Gesicht. Auf ihrem Schlafanzug waren lauter lächelnde Uhren. Sie tätschelte mir den Kopf wie bei einer Katze.
    In meinen Träumen wartete er auf mich. Nicht Tee Beau Latiolais oder Jimmie Lee Boggs, sondern eine sich ewig verändernde Gestalt, die jede Nacht anders war, aber immer dasselbe
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