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Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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Schuhe in den Schlick am Grund des seichten Gewässers und begann mich stoßweise auf einen verrotteten Baumstamm zuzubewegen, spinnennetzartig überzogen von festgetrocknetem Treibgut und Schlingpflanzen. Ich konnte jetzt wieder richtig atmen; meine Befürchtung einer offenen Brustwunde hatte sich als grundlos erwiesen, aber es hatte den Anschein, als hätte man mir alle Lebensenergie abgezapft. Am Rande des Flußbetts sah ich die Silhouetten von Tee Beau und Boggs. Boggs hielt die halbautomatische Schrotflinte mit dem Pistolengriff, die im Kofferraum gewesen war, wie ein Soldat quer vor der Brust.
    »Tu du es«, sagte er. Er zog den vernickelten Revolver aus der Tasche seiner Jeans und reichte ihn Tee Beau.
    »Wir sollten machen, daß wir hier wegkommen.«
    »Du bringst das zu Ende.«
    »Er wird da unten sterben. Wir müssen gar nichts mehr machen.«
    »So billig kommst du nicht davon, Junge. Wenn wir hier wegfahren, wirst du genauso viel Dreck am Stecken haben wie ich.«
    »Mister Boggs, ich kann das nicht.«
    »Hör zu, du dämlicher Nigger, du machst jetzt, was ich dir gesagt hab, oder dir blüht das gleiche wie dem Typ da in der Toilette.«
    In seinen zu großen Kleidern sah Tee Beau neben Boggs wie ein Strichmännchen aus. Boggs gab ihm mit einer Hand einen Schubs, und Tee Beau schlidderte den Abhang hinunter durch das nasse Gebüsch. Die zurückschwingenden Äste peitschten ihm gegen Jacke und Hose. Er hielt die Waffe flach an den Oberschenkel gedrückt. Er platschte durch das Wasser hindurch auf mich zu.
    Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und versuchte etwas zu sagen, aber die Worte verfingen sich in meiner Kehle zu einem Gewirr von rostigen Nägeln.
    Er kniete vor mir nieder, das Gesicht schlammbespritzt, die Augen in dem kleinen Gesicht groß und rund und angsterfüllt.
    »Mach es nicht, Tee Beau«, wisperte ich.
    »Er hat den weißen Jungen in der Toilette gekillt«, sagte er. »Er hat Mister Benoit das Gewehr gegen das Gesicht gehalten und es weggeschossen.«
    »Mach es nicht. Bitte«, sagte ich.
    »Schließen Sie die Augen, Mister Dave. Und rühren Sie sich nicht.«
    »Was?« sagte ich, so schwach, wie es von einem Mann zu erwarten ist, der für immer unter die Oberfläche eines tiefen, warmen Sees gleitet.
    Er spannte den Abzugshahn, und seine hervorquellenden Augen starrten wirr in meine.
    Manche Leute sagen, daß man in diesem letzten Moment sein ganzes Leben vor sich Revue passieren sieht. Ich für meinen Teil glaube nicht, daß das stimmt. Man sieht die Adern in einem dreckschwarzen Blatt, Pilze, die in dichten Schwärmen an der feuchten Wurzel einer Eiche wachsen, einen Ochsenfrosch, der auf einem Baumstamm sitzt und im Dunkeln glänzt; man hört Wasser, das über Steine plätschert, das von den Bäumen herabtropft, und man riecht es in der dunstigen Luft. Süß und feucht wie Zuckerwatte kann einem der Nebel auf der Zunge liegen, und im Schein eines einzigen Blitzschlags oben am Himmel bekommen die Weidenkätzchen und Schilfgräser eine silbergrüne Schattierung, die schöner ist als jedes Gemälde. Man denkt an die Beschaffenheit der Haut, die körnigen Poren, die vielen Adern, die denen eines Blattes entsprechen. Man denkt an den gepuderten Busen der Mutter, den Milchgeruch in ihren Kleidern, ihre Körperwärme, wenn sie dich an sich drückte; dann schließen sich die Augen, und der Mund öffnet sich zu einem letzten, erstickten Protestschrei gegen den kosmischen Zwischenfall, der dieses Leben so plötzlich und unfair beenden wird.
    Er hatte sich auf ein Knie gekauert, als er den Abzug drückte. Der Revolver ging wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt los, und ich spürte die Schießpulverreste auf meiner Haut brennen und die Erde direkt neben meinem Ohr explodieren. Mir drehte sich das Herz in der Brust.
    Ich hörte Tee Beau aufstehen. Er klopfte sich die Knie ab.
    »Erledigt, Mister Boggs«, sagte er.
    »Dann mach, daß du hier hochkommst.«
    »Jawohl, Sir. Ich beeil mich.«
    Ich blieb regungslos liegen, die Hände mit den Handflächen nach oben im plätschernden Wasser. Die Nacht war voller Geräusche: die Grillen im Gras, das entfernte Donnergrollen draußen über dem Golf, der Ruf eines Sumpfbibers etwas weiter weg im Flußbett, und Tee Beau, der sich mühsam einen Weg durch das nasse Unterholz bahnte.
    Dann hörte ich die Wagentüren zuschlagen, den Motor starten und die Reifen über den Kiesweg auf die zweispurige Straße knirschen.
    Im Verlauf der Nacht regnete es noch
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