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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition)
Autoren: Rhoda Janzen
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Christie, Jamies älterer Schwester, singen. Mit einer Stimme, hoch und klar wie ein Alpenglöcklein, lispelte die kleine Christie melodisch den Refrain.
    Rote Farbe,
    gute Form,
    Schwergewicht,
    eins, zwei, drei!
    Jedes Korn,
    mein kleiner Freund!
    Wenn zwei Krüge voll sind,
    ist’s getan.
    Nun, ich kann Ihnen sagen, dass wir im Hause Janzen nie genug davon bekamen, wenn Christie Isaac von ihren kleinen Freunden sang, vor allem nachdem Connie Isaac mir zum ersten Mal das Honorar für meine Babysitter-Dienste aushändigte.
    Connie Isaac bezahlte mich mit jungen braunen Kartoffeln .
    Ich denke, wir sind uns einig, dass das Leben einer Zwölfjährigen einen deutlichen Aufschwung erfährt, wenn sie plötzlich über ein regelmäßiges Einkommen an jungen Kartoffeln verfügt. Zwar kann sie sich davon nicht den verbotenen Lipgloss kaufen, den sie schon so lange begehrt, aber dafür lassen sich damit jederzeit schmackhafte Kartoffelgerichte für die ganze Familie zubereiten. Und Kochen ist das eine, mit dem mennonitische Mädchen sich auskennen.
    Ich koche gern und viel, seit ich mit fünf Jahren meinen ersten Kessel Borschtsch servierte, den ich mit gedünstetem Kopfsalat anstatt mit Kohl zubereitete (diese Doppelgänger unter dem Gemüse sind leicht zu verwechseln). Die Frauen unserer Familie sind die Art von Köchinnen, die sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen. Sie brauchen in einer Stunde ein Abendessen für zehn Personen? Kein Problem. In null Komma nichts haben wir selbst gebackenes Brot, hausgemachte Nudeln, Soße, Würstchen und alles, was dazu gehört, aufgetischt. Die mennonitische Küche hat kulinarische Höhepunkte – mehr dazu später –, doch ihre wahre Stärke liegt in der Nonchalance , mit der wir sie zubereiten. Für andere stellen Timing, Menü-Planung, fehlende Zutaten riesige Probleme dar. Nicht für uns. Unsere sieben Beilagen sind immer exakt zur selben Zeit garniert, und falls uns etwas ausgegangen ist, was selten vorkommt, sind wir sehr gut im Improvisieren. Wir haben eine einseitige Begabung fürs Kochen. Sie haben von diesen autistisch veranlagten Menschen gehört, die aus dem Stegreif ausrufen, welcher Wochentag der 16. Mai 1804 war? Das sind wir, nur dass wir rufen: »Abendessen ist fertig!«
    Ich war also nicht überrascht, als meine Mutter mit einem kleinen Auftrag den Kopf ins Gästezimmer streckte. Da ich einen Schreibtisch brauchte, der hoch genug war, um meine Beine darunterzuzwängen, hatte ich zum Arbeiten zwei Schubladen unter einen schmalen Beistelltisch geschoben. »Könntest du eine Suppe kochen?«, bat mich meine Mutter heiter.
    »Jetzt?«
    »Wenn du Zeit hast. Wir feiern Weihnachten dieses Jahr vor, weil wir am ersten Feiertag zu Hannah fahren. Wir machen bei Aaron und Deena Bescherung. Caleb hatte die Idee, dass jeder von uns eine andere Suppe mitbringt, dann können wir Suppe mit Tweebak essen.«
    Ich nickte. Suppe, gerne. Eigentlich eine gute Idee. Tweebak ist das mennonitische Grundnahrungsmittel, eine Art Doppeldecker-Hefebrötchen, das weich und sehr lecker ist. Wie bei gefüllten Doppelkeksen löst das Auseinanderziehen der Hälften eine tiefe Befriedigung aus. Nur dass Tweebak nicht gefüllt ist. Man bestreicht ihn mit ungesalzener Butter und selbst gemachter Rhabarbermarmelade und reicht ihn zum Vaspa , dem Abendessen am Sonntag. Oder man isst ihn zur täglichen Suppe. Das Beste am Tweebak ist die obere Hälfte des Brötchens, die als verlockende Kugel in der Größe eines Golfballs auf der unteren Hälfte thront. Pflück mich , scheint sie zu rufen, ich weiß, dass du mich willst! Tweebak hat etwas sehr Haptisches.
    Das Tweebak -Rezept meiner Großmutter, handgeschrieben auf der Rückseite eines fünfzig Jahre alten mennonitischen Kalenderblatts, hüte ich wie meinen Augapfel. Meines Wissens war es das einzige Mal, dass meine Großmutter mütterlicherseits, die ich »Oma« nannte, ein Rezept aufgeschrieben hat. 1960, als meine Mutter frisch verheiratet war, schrieb sie in dem winzigen Pfarrhaus in North Dakota einen Brief an ihre Mutter in Kanada, um sie nach dem Rezept zu fragen. Oma schickte das Kalenderblatt, das sie in kaum leserlichen Spitzbubben , der Schriftvariante der Russlandmennoniten aus dem neunzehnten Jahrhundert, beschrieben hatte. Nur Experten können diese Schreibschrift heutzutage noch entziffern. Selbst mir fällt es ohne die Hilfe meiner Mutter schwer. Doch in dem Rezept kann ich Omas Stimme hören, pragmatisch, vage, wie sie ihre
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