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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition)
Autoren: Rhoda Janzen
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Fülle.
    Ich war mitten im Kürbis-Schneiden. Neben mir zerlegte meine Mutter das Huhn für die Leute, die die drei Kinder aus dem Motel adoptiert hatten. Plötzlich sagte sie: »Sieh mal hier, die Elle und die Speiche.«
    Es läge nahe, die merkwürdigen Gesprächseinleitungen meiner Mutter ihrer Karriere als Krankenschwester zuzuschreiben. Jeder weiß, dass Krankenschwestern gerne über Eiter reden, während sie ihren Kindern einen Nachschlag Kartoffelbrei auf den Teller klatschen. Einmal hat uns meine Mutter beim Mittagessen mit einer Anekdote erbaut, die von ihren Erfahrungen beim Waschen eines krankhaft Fettleibigen handelte. Unter der ungeheuren Fettschürze des Patienten hatte meine Mutter ein halb gegessenes Sandwich entdeckt, das sich in einem späten Stadium der Zersetzung befand. Ich biss gerade in meinen Thunfisch-Toast. Doch tatsächlich war meine Mutter schon in jungen Jahren so gewesen, lange bevor sie die Schwesternschule besuchte. Vielleicht war sie deswegen Krankenschwester geworden, weil sie sich heimlich wünschte, über Verwesung zu sprechen, während sie entfernten Vettern aus Bielefeld russischen Rollkuchen servierte.
    »Igitt«, sagte ich automatisch.
    »Was denn? Das Huhn hat nun mal eine Elle.«
    »Ja, aber es ist eklig, beim Kochen von Elle und Speiche zu reden.«
    Sie dachte nach, bevor sie widersprach. »Nein, ist es nicht. Das Huhn hat eben eine Elle!«
    »Das heißt aber nicht, dass du unbedingt darüber reden musst. Lass uns über gewisse anatomische Gegebenheiten Stillschweigen vereinbaren.«
    »Gilt das nur für die Elle oder auch für die Speiche?«
    »Keine anatomischen Namen für Hühnerknochen. Ich schlage vor, dass du, wenn du unbedingt über Hühnerknochen sprechen musst, einfach von Hühnerknochen redest.«
    »Na gut«, sagte meine Mutter friedfertig, »aber im Stillen werde ich die Elle weiterhin Elle nennen.«
    »Wenn du darauf bestehst. Ich schätze, das ist dein Recht als Mennonitin und Matriarchin.«
    »Die Namen der Knochen zu lernen ist wie Fahrradfahren«, sagte sie. »Wenn du sie einmal kannst, vergisst du sie nicht mehr. Außerdem ist das Wort Elle nicht annähernd so schlimm wie der Verzehr einer Beilage aus Hühnerinnereien.«
    Ich hatte gelernt, mit dieser Art von semantischen Sprüngen zu rechnen. Insbesondere wenn es um Hühner ging, konnte mich bei meiner Mutter nichts mehr überraschen. Diese Frau war einst mit einem tiefgefrorenen Brathähnchen im Koffer nach Hawaii geflogen, in der Annahme, dass es pünktlich zur Landung in Honolulu aufgetaut sein würde. Wenn Ihre Mutter mit einem gefrorenen Huhn im Koffer nach Hawaii reist, ist alles möglich. Sie lernen, es zu nehmen, wie es kommt. »Ich schätze, Hühnerinnereien als Beilage sind immer noch besser als Hühnerinnereien zur Vorspeise«, sagte ich freundlich und fing an, eine Zwiebel zu schneiden.
    »Als meine Freundin Chue Lee mich zum Hmong-Bankett ihrer Familie einlud, gab es zu jedem Gang einen kleinen Teller mit Hühnerinnereien. Ich war an dem Tag extra früher gekommen, um ihnen beim Schlachten zu helfen. Wusstest du, dass die Hmong alles verwerten? Füße, Kopf, Schnabel, Innereien, wirklich alles? Die Innereien spülen sie natürlich sorgfältig aus, um die Fäkalien auszuwaschen …«
    Ich räusperte mich protestierend.
    »Entschuldige. Aber es würde wohl kaum jemand Hühnerinnereien essen wollen, in denen noch Kot ist!«
    »Wir bewegen uns hier in die falsche Richtung«, sagte ich, während ich für meine Suppe einen Granny-Smith-Apfel schälte.
    »Die Hmong kaschieren die Konsistenz und den Geschmack, indem sie eine Reihe von scharfen Chiligewürzen dazugeben.«
    »Hat Dad die Hühnerinnereien gegessen?«
    Sie lachte schallend. »Aber nein. Er? Niemals! Ich habe seine Portion gegessen.«
    »Willst du mir sagen, dir haben die pikanten, ausgespülten Innereien geschmeckt?«
    »Nein, aber ich wollte nicht, dass Chue Lee denkt, es würde uns nicht schmecken.«
    »Würdest du Innereien lieber essen oder ausspülen?«
    Sie überlegte. »Ausspülen. Obwohl mich der Gestank, der beim Spülen austrat, an unseren alten Hühnerstall erinnerte.«
    Dann stimmte sie ein lustiges Liedchen an, das sie uns beigebracht hatte, als wir klein waren. Der teutonische Charme des Lieds besteht darin, dass das Reimschema einen kurzen Moment der Vorfreude auf ein unanständiges Wort auslöst – unanständig für die 1930er-Jahre. Man muss jede Zeile so gut wie möglich in die Länge ziehen, mit dem schmutzigen Begriff
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