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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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ich für sie hätte tun können. Sie war so ein wunderbares Mädchen gewesen. Ich dachte an den Abend, als sie in meinem Arm eingeschlafen war, und an das Lächeln in ihrem Gesicht. Hätte ich es verhindern können?
    Dieser Gedanke quälte mich, ich wurde ihn nicht los. Erst als das Telefon ging und mein Vater mir mitteilte, dass Henk und seine Mutter in Sicherheit waren und ihnen nichts zugestoßen sei, erst da war ich in der Lage zu weinen.

Epilog
    Das Schlimmste ist das Warten.
    Wenn die Wochen vergehen und schreckliche Ereignisse immer weiter in die Vergangenheit gleiten, dann bleibt nicht viel. Nur die Erinnerung, die einen noch viel zu oft von hinten überfällt und einen davon abhalten will, weiterzumachen. Ich kann nicht an Gesa denken, ohne dass sich mein Körper anfühlt, als würde er von einem gewaltigen Magneten nach unten gezogen. Ich kann nur hoffen, dass ich, sollte sich so etwas Unbegreifliches wiederholen, es in irgendeiner Weise verhindern können werde.
    Mein Vater schreibt und schreibt. Es wird ein ganzes Buch werden, obwohl er eigentlich nur einen Bericht darüber verfassen wollte, was in diesem Haus geschehen war. Er befürchtet, dass Dinge dieser Art nicht nur hier geschehen. Wer weiß, wie viele Wissenschaftler noch dazu bereit sind, die Grenzen des Fassbaren niederzutreten, um ein Kind, einen Menschen über sich selbst hinauswachsen zu lassen? Ich vermute, es sind viel zu viele.
    Doch am schlimmsten ist, wenn sich der Zweifel mir immer und immer wieder in den Weg stellt und mich davon abhält, in so etwas wie einen Alltag zurückzufinden.
    Vor ein paar Stunden wurde auf Helgoland eine männliche Leiche angeschwemmt. Zehn Wochen ist der Bootsunfall nun her. Sjards Schwester, mit der ich zwischenzeitlich Kontakt aufgenommen hatte, rief mich an und hat mich darüber informiert, dass es einige Stunden bis zur Identifizierung des Toten dauern würde.
    Nun sitze ich hier und warte. Ich höre die Kinder draußen spielen.Sie sind so froh, dass das Haus seit zwei Tagen wieder geöffnet ist. Es war für uns alle eine schwere Zeit. Die Zeitungen schrieben, das Fernsehen sendete, die Öffentlichkeit empörte sich über die Machenschaften von Dr.   Schewe und der «inPharm AG». Doch als der Skandal etwas abgeklungen war und feststand, das nur die Norder Liekedeler-Filiale betroffen war, gelang es uns, die Stiftung zu retten. Robert Lindkrug hatte es am meisten getroffen, von Veronika Schewe jahrelang hintergangen und benutzt worden zu sein. Trotzdem hatten er und alle anderen sich entschlossen weiterzumachen.
    Verdammt, wann klingelt endlich das Telefon.
    Ich hoffe, es ist Sjard. Ich hoffe, dass er bei dem Versuch, mich zu retten, ums Leben gekommen ist. Auch wenn es grausam ist, dass er sterben musste und ich am Leben bin, doch der Gedanke ist besser zu ertragen als die Möglichkeit, dass er mich im Stich gelassen und das Unglück für sich genutzt hat. Er wollte aussteigen bei Liekedeler. Das hatte Dr.   Veronika Schewe in einem Verhör zu Protokoll gegeben. Er hätte also gut davonschwimmen und abhauen können. Es war eine gute, eine viel zu gute Gelegenheit, sich aus der Verantwortung zu ziehen, vor allem, weil er ahnte, dass ich hinter die Sache mit dem Rytephamol-B kommen würde. Doch hätte er dafür mein Leben aufs Spiel gesetzt. Was kann ich besser ertragen?
    Dass der Mann, in den ich mich verliebt hatte, tot ist? Oder dass er mich im Stich gelassen hat, um seine eigene Haut zu retten?
    Ich weiß es nicht.
    Ich weiß nur, dass die beiden E-Mails nicht von Sjard stammten.
    Irgendwie hatte ich die ganze Zeit fest daran geglaubt, ich würde morgens in meinem Bett im Liekedeler-Haus aufwachen und er würde an meinem Bett stehen, lächeln und etwas sagenwie: «Siehst du, ich behalte dich im Auge.» Ein schöner Gedanke, den ich manchmal auskostete wie einen Bonbon, den man auf der Zunge zerfließen ließ und dessen Süße man nur nach und nach hinunterschluckte.
    Doch dann kam ich eines Morgens die Treppe herunter. Ich war ein wenig früher auf den Beinen als sonst, denn wir hatten viel zu erledigen, der Neuaufbau der Schule musste vorangetrieben werden, und da ertappte ich Jochen Redenius, wie er aus meinem Büro geschlichen kam.
    Das altbekannte Misstrauen gegen ihn ließ mich wütend auf ihn zurennen, ich packte ihn am Ärmel und sah ihm direkt in die hellgrünen Augen. «Jochen, was zum Teufel suchst du in meinem Büro? Nur weil du jetzt die Leitung der Stiftung übernommen hast, brauchst du
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