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First Frost

First Frost

Titel: First Frost
Autoren: Jennifer Estep
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einen flatternden Regenbogen um sich gewickelt hatte, war es schwer zu erkennen. Glänzende Silbermünzen hingen von den Fransen der Tücher und schlugen bei jedem Schritt gegeneinander. Ein weiteres Tuch hielt ihr das eisengraue Haar aus dem zerknitterten Gesicht. Dieses Tuch hatte dieselbe violette Farbe wie ihre Augen – wie alle unsere Augen.
    »Hallo, Süße«, sagte Grandma Frost mit warmer, fröh­licher Stimme und trat neben mein Bett. »Wie fühlst du dich?«
    »Besser, Grandma«, antwortete ich. »Aber ich habe ein ­wenig Kopfweh.«
    Für einen Moment wurde Grandmas Blick leer und glasig, und die Luft um sie herum schien sich zu bewegen – als läge eine alte, wachsame und wissende Macht um ihre Schultern.
    »Nun, ich denke, in ein oder zwei Stunden geht es dir wieder gut«, murmelte Grandma geistesabwesend.
    Ich wusste, dass sie gerade eine ihrer Visionen hatte. Geraldine Frost besaß ebenso eine Gypsygabe wie meine Mom und ich. Sie konnte in die Zukunft schauen. Sie setzte ihre Gabe ein, um etwas Geld dazuzuverdienen, indem sie den Leuten die Zukunft vorhersagte. Grandma war eine Unternehmerin wie ich.
    Nach einem Moment normalisierte sich ihr Blick wieder, und die unsichtbare Macht um sie herum verschwand. Sie sah auf mich herunter und lächelte.
    »Ich fürchte, wir haben ein Problem«, sagte meine Mom und sah dabei Grandma an. »Ein großes.«
    Sie erzählte Grandma von Paiges Stiefvater und dem Missbrauch. Bald schon strahlte Grandma Frost dieselbe kalte Wut aus wie meine Mom.
    »Was wirst du tun?«, fragte ich.
    Meine Mom sah mich an. »Ich werde mit Paige reden, und dann werde ich versuchen, so viel wie möglich über ihren Stiefvater herauszufinden. Ob er vorbestraft ist, ob er etwas in dieser Art schon einmal getan hat. Mach dir keine Sorgen, Gwen. Egal was passiert oder was ich herausfinde, ich werde deiner Freundin helfen. Die Götter wollten, dass du Paiges Haarbürste berührst und siehst, was sie durchmachen musste. Und jetzt wollen sie, dass ich ihr helfe.«
    In dieser Hinsicht war meine Mom ein wenig seltsam. Immer sprach sie über Götter und Göttinnen, als wären sie real und nicht nur Figuren aus den Mythen, die sie mir als Kind immer vorgelesen hatte. Ares, Athena, irgendwelche Kriegerprinzessinnen namens Nike und Sigyn. Mom nannte die Götter und Göttinnen immer beim Namen, als hätte sie sie schon einmal persönlich getroffen. Es war total peinlich, wenn sie das vor meinen Freundinnen tat, aber ich liebte sie zu sehr, um ihr das zu sagen. Zumindest meistens.
    »Ich bleibe hier und kümmere mich um die Ärzte«, sagte Grandma Frost. »Grace, du solltest gehen und diesem armen Mädchen helfen.«
    Meine Mom nickte und drehte sich wieder zu mir um. »Bis nachher, Liebes. Ich komme heute Abend so früh wie möglich nach Hause.«
    Sie berührte sanft meine Wange, und wieder fühlte ich, wie die Wärme ihrer Liebe mich einhüllte und all meine Sorgen vertrieb. Meine Mom lächelte, dann ging sie.
    Ich wusste in diesem Moment nicht, dass es das letzte Mal sein sollte, dass ich sie sah.
    Grandma Frost blieb bei mir im Krankenhaus. Die Ärzte wollten noch ein paar Tests machen, hauptsächlich Hirnscans, um herauszufinden, warum ich in der Umkleide zusammengebrochen war. Natürlich konnte Grandma ihnen nicht die Wahrheit verraten – dass meine Gypsygabe mir etwas so Schreckliches gezeigt hatte, dass mein Hirn einfach vor Überlastung verrücktgespielt hatte. Wenn sie angefangen hätte, von meiner Psychometrie zu erzählen, hätten sie wahrscheinlich auch ihr Hirn untersuchen wollen.
    Mom und Grandma versteckten nicht, dass wir Gypsies mit magischen Gaben waren, aber sie gingen auch nicht ge­rade damit hausieren. Wir nutzten unsere Fähigkeiten, aber wir erklärten sie den Leuten nicht und gaben auch nicht damit an. Die Magie war einfach ein Teil von uns, ebenso wie unsere violetten Augen und der Familienname Frost. Niemand hatte unsere Gaben jemals groß hinterfragt – abgesehen von mir.
    Es kostete Grandma Frost einige Überzeugungskraft, aber nachdem die Ärzte bei mir keinerlei Erkrankung finden konnten, entließen sie mich noch an diesem Nachmittag. Grandma nahm mich mit zu sich nach Hause. Sie wohnte ein paar Straßen vom Stadtzentrum von Asheville entfernt. An Abenden, an denen meine Mom lange arbeiten musste, übernachtete ich immer bei Grandma, deshalb hatte ich dort ein eigenes Zimmer. Grandma bestand darauf, dass ich den Rest des Tages im Bett blieb, aber sie erlaubte mir,
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