Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
angebracht hielt, maßvoll sein Bedauern auszusprechen.
    «Ich fürchte, das wird nicht gehen.»
    «Nein?»
    «Sie ist tot.»
    «Oje!»
    «Sehr traurige Geschichte.»
    «Na ja, vielleicht hatte sie ein langes, ausgefülltes Leben?»
    «Ich würde einundvierzig nicht als besonders lang bezeichnen. Sie?»
    «Nein.»
    «Hodgkinsche Krankheit. Sie wissen ja, was das bedeutet.»
    «Ja», log der Chief Inspector, während er sich ernüchtert rückwärts zum Ausgang bewegte. «Ich hole nur schnell mein Gepäck. Wir wollen schließlich keinen Ärger mit der Polizei. Komische Typen, manchmal.»
    «Vielleicht dort, wo Sie wohnen. Bei uns verhalten sie sich sehr anständig.»
    «Ich wollte nicht...»
    «Werden Sie bei uns zu Abend essen, Sir?»
    «Ja. Ja, bitte. Das würde ich sehr gerne.»

    Wenige Minuten, nachdem Morse den kastanienbraunen Jaguar langsam durch die Lower Road gesteuert hatte, betrat eine Frau (die sicher nicht älter aussah als jene Frau, die früher im Jahr geschrieben hatte, um sich Zimmer 27 reservieren zu lassen) das Bay Hotel, stand ein oder zwei Minuten an der Rezeption und drückte dann auf den Bitte-Läuten-Knopf.
    Sie war gerade von einem Spaziergang über den westlichen Teil der Strandpromenade und hinaus auf den Cobb zurückgekehrt, jenem großen Damm aus Granit, der einen schützenden Arm um den Hafen legt und das stetige Tosen des Meeres mildert. Es war kein angenehmer Spaziergang gewesen. Spät am Nachmittag war von Süden eine Brise aufgekommen, der Himmel hatte sich bedeckt, und mehrere Leute, die auf der Promenade entlanggingen, hatten sich zum Schutz gegen den gelegentlichen Sprühregen in ihre Regenhäute gezwängt.
    «Keine Anrufe für mich?» fragte sie, als der Hotelbesitzer wieder auftauchte.
    «Nein, Mrs. Hardinge. Es war auch sonst nichts.»
    «Okay.» Aber sie sagte es so, als wäre es nicht okay, und der Besitzer fragte sich, ob der Anruf, den er früher am Nachmittag entgegengenommen hatte, vielleicht wichtiger gewesen war, als er vermutet hatte. Aber wahrscheinlich doch nicht, denn plötzlich schien sie zu entspannen, und sie lächelte ihn an — ein sehr attraktives Lächeln.
    Das Gitter, das die Getränke hinter der Rezeption bewacht hatte, war verschwunden, und es saßen schon zwei Paare an der Bar und tranken mit Genuß ihren trockenen Sherry, und bei ihnen saß eine ältliche Jungfer, die viel Wirbel um einen Dackel machte, einen jener .
    «Ich denke, ich nehme einen doppelten Malt Whisky.»
    «Mit Soda?»
    «Nur normales Wasser, bitte.»
    «Sagen Sie halt.»
    «Halt!»
    «Auf Ihre Zimmerrechnung, Mrs. Hardinge?»
    «Ja, bitte. Zimmer 14.»
    Sie setzte sich auf das grüne Lederpolster der Fensternische direkt neben dem Haupteingang. Der Whisky schmeckte gut, und sie sagte sich, wie schwerwiegend auch die Argumente für eine totale Abstinenz sein mochten — nur wenige könnten bestreiten, daß nach dem Genuß von Alkohol die Welt stets besser und freundlicher erschien.
    Die Times lag auf dem kleinen Tisch neben ihr, und sie nahm sie auf, überflog die Schlagzeilen und wandte sich der Rückseite zu. Sie faltete die Zeitung horizontal, dann vertikal, und dann studierte sie eins Waagerecht.
    Es war ein ziemlich leichtes Rätsel, und etwa zwanzig Minuten später hatte sie mit ihrem nicht unbeträchtlichen Geschick im Lösen von Kreuzworträtseln alle Lösungen bis auf zwei gefunden; eine davon war ein quälend halbvertrautes Zitat von Samuel Taylor Coleridge, über dem sie noch immer brütete, als die Dame des Hauses mit der Speisekarte zu ihr trat und fragte, ob sie im Hause zu Abend essen werde.
    Für ein paar Minuten, nachdem sie Suppe aus Meeresfrüchten mit frischen Gartenkräutern und Perlhuhn in Lauch- und Champignonsoße bestellt hatte, saß sie mit gesenkten Blicken da und rauchte eine King-size-Dunhill-Zigarette. Dann ging sie, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, in die Telefonzelle mit den gläsernen Wänden neben dem Eingang, wählte eine Nummer, und bald bewegten ihre Lippen sich wie in einer stummen Scharade, wie der Mund eines aufgeregten Goldfisches, während sie ein 20-Pence-Stück nach dem anderen in den Schlitz warf. Aber niemand konnte hören, was sie sagte.

Kapitel drei

    Ist Ihnen aufgefallen, daß das Leben, das echte, wirkliche Leben, mit Morden und Katastrophen und sagenhaften Erbschaften, sich beinahe ausschließlich in den Zeitungen abspielt?

    (Jean Anouilh, Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher