Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
entziffern; es schien sich um ein Zitat zu handeln. Mit der anderen Hälfte der Zeitung hatte er mehr Glück, da sie ihm näher war — besonders mit dem Artikel, dem ganz ungewöhnlichen Artikel, der plötzlich seine Aufmerksamkeit erregte, beanspruchte und fesselte. Unten auf der Seite, über vier zwei Zoll hohen Spalten, stand die Schlagzeile , und Morse hatte fast die ganze erste Spalte entziffert —

    Die Oxfordshire Police hat den Literatur-Kritiker der Times, Mr. Howard Phillipson, gebeten, bei der Lösung eines komplizierten Rate-mal-Rätsels zu helfen, das, so nimmt man an, genau die Stelle bezeichnet, wo die Leiche einer jungen Frau...

    als die Serviererin an den Tisch zurückkehrte.
    «Kaffee, Madame?»
    «Ja, bitte.»
    «In der Bar — oder in der Lounge?»
    «In der Bar, denke ich.»
    «Sie auch, Sir?»
    «Nein. Nein danke.»
    Bevor sie ging, goß die Serviererin den Rest vom Medoc in Morses Glas, und an der anderen Seite des Tisches wurde die Zeitung zusammengefaltet. Das Mahl war sozusagen beendet. Merkwürdigerweise jedoch schien keiner der beiden es besonders eilig zu haben, den Tisch zu verlassen, und für kurze Zeit saßen sie schweigend zusammen, das vorletzte Paar im Speisesaal: Er sehnte sich nach einer Zigarette und hätte brennend gern gelesen, was noch in dem offenbar hochinteressanten Artikel stand; außerdem fragte er sich, ob er einen letzten Überfall auf feindliches Gebiet riskieren sollte — denn er war nach einigem Nachdenken zu der Überzeugung gekommen, daß sie wirklich sehr attraktiv aussah.
    «Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich rauche?» fragte er zögernd und war schon im Begriff, nach der verführerischen Schachtel zu greifen.
    «Mir macht es nichts aus.» Sie stand abrupt auf und nahm Handtasche und Zeitung an sich. «Aber ich glaube, das Management wird nicht ganz so entgegenkommend sein.» Sie sprach ohne Feindseligkeit — noch schlimmer, ohne Interesse, so schien es — und zeigte kurz auf eine Mitteilung neben der Tür.

    IM INTERESSE DER VOLKSGESUNDHEIT BITTEN WIR SIE HÖFLICH, IN DEN SPEISERÄUMEN AUF DAS RAUCHEN ZU VERZICHTEN:
    DANKE FÜR IHR VERSTÄNDNIS.

    Du kannst mich mal! dachte Morse.
    Aber er hatte sich nicht sehr klug verhalten, das sah er ein. Er hätte sie nur zu bitten brauchen, ihm die Zeitung für zwei, drei Minuten zu leihen. Er konnte sie natürlich noch immer bitten. Aber das würde er nicht tun — o nein! Sie konnte ihre verdammte Zeitung seinetwegen ins Klo stopfen. Es war egal. Fast jeder Zeitungsverkäufer in Lyme Regis würde ein paar unverkaufte Exemplare der Zeitungen von gestern haben, die erst im Lauf des Vormittags zusammengepackt werden und zurück an den Großhändler gehen würden. So etwas hatte er schon unzählige Male gesehen.
    Sie würde in die Bar gehen, hatte sie gesagt. In Ordnung, er würde in die Lounge gehen... wo er sehr bald in einem tiefen Sessel saß, eine weitere Halbe Bitter und einen doppelten Malt Whisky vor sich. Und nur, um den Abend abzurunden, sagte er sich, würde er eine Zigarette rauchen, nur eine, na ja, höchstens zwei.
    Es wurde jetzt dunkel — aber die Abendluft war sehr mild: Und während er am halbgeöffneten Fenster saß, lauschte er wieder dem Knirschen der Kieselsteine, die vom zurückgehenden Wasser mitgeschleift wurden, und eine Zeile aus Dover Beacb kam ihm in den Sinn.

    Doch jetzt höre ich nur
    sein schwermütiges langsam schwindendes Getöse.

    Ein oft unterschätzter Dichter, Matthew Arnold, hatte er immer gefunden.
    Mrs. Hardinge trank in der Bar ihren Kaffee, nippte an einem Cointreau — und dachte, um die Wahrheit zu sagen, für einen kurzen Augenblick an die durchdringenden blauen Augen des Mannes, der ihr beim Dinner gegenübergesessen hatte.

Kapitel vier

    Der Morgen ist weiser als der Abend
    (Russisches Sprichwort)

    Am nächsten Morgen stand Morse um 6.45 Uhr auf, stellte seinen Teekessel an und machte sich aus einem der vielen Tütchen und einem Milchdöschen eine Tasse Kaffee. Er zog die Vorhänge zurück und schaute auf das ruhige Meer und ein gerade den Cobb verlassendes Fischerboot hinunter. Zum Teufel! Er hatte vorgehabt, sein Fernglas mitzunehmen.
    Die Möwen schwebten und kreisten über der Strandpromenade und blieben manchmal bewegungslos an einer Stelle, als hingen sie vom Himmel, bis sie abdrehten wie Kampfflugzeuge, die sich von ihrer Formation lösten, und aus Morses Blickfeld verschwanden.
    Die Sonne war schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher