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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe
Autoren: Colin Dexter
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aufgegangen, ein großer orangefarbener Ball über den Klippen im Osten, über Charmouth — wo man, so wurde gesagt, einen Dinosaurier gefunden hatte, oder einen Pterosaurier oder so etwas, das in einem fernen, prähistorischen Zeitalter gelebt hatte, einer Zahl mit etwa zwölf Nullen. Oder waren es zwanzig?
    Morse sagte sich, daß er wirklich mehr über Naturgeschichte lernen sollte, leerte seine Tasse und ging, ohne sich rasiert zu haben, hinunter zu dem ausgestorbenen Erdgeschoß, verließ das Hotel und wandte sich auf der Strandpromenade nach links — wo seine Suche begann.
    Der Zeitungshändler an der Ecke war ziemlich sicher, daß er keine Times vom Vortag hatte: Sun ja, Mirror ja, Express ja... aber nein, keine Times. Tut mir leid, Kumpel. Morse wandte sich wieder nach links und kämpfte sich die steil ansteigende Broad Street hinauf. Noch außer Atem, erkundigte er sich in dem Zeitungsladen links auf halber Höhe. Telegraph, Guardian, Independent — half das weiter? Nein? Tut mir leid, Sir. In dem Zeitungsladen genau gegenüber wurde Morse ein zweites Mal genannt — aber eine Times gab es auch da nicht. Er ging weiter bis zum Gipfel des Hügels, wandte sich bei einem ziemlich schäbig aussehenden Kino nach links, dann wieder nach links in die Cobb Road und hinunter zum westlichen Ende der Strandpromenade — wo ein vierter Zeitungshändler auch nicht helfen konnte und den Chief Inspector wieder zum degradierte.
    Egal! Büchereien hoben zurückliegende Nummern aller größeren Tageszeitungen auf, und wenn er völlig verzweifelt war — was er ganz gewiß nicht werden würde —, konnte er immer noch Mrs. Trübsal auf den Knien bitten, ihn einen Blick in ihre Zeitung werfen zu lassen. Wenn sie sie noch hatte... Vergiß es, Morse! Was bedeutete es schon?
    Was bedeutete sie ?
    Morse ging jetzt munteren Schrittes über die Strandpromenade und atmete die frische Morgenluft tief ein. Zigaretten waren heute nicht drin. Keine einzige. Er war, wie ihm gerade klarwurde, eine Art Rechteck gegangen; nun, eigentlich eher ein Trapez, ein , mit zwei parallelen Seiten. Und zweifellos hätte er sich gesagt, es sei keine schlechte Idee, seine Geometrie etwas auf Vordermann zu bringen, wenn er nicht, etwas zweihundert Meter vor ihm, eine Gestalt entdeckt hätte. Denn dort, unter dem weißen Baldachin des lederfarbenen Hotels mit seinem gelben Zwei-Sterne-AA-Schild, stand Mrs. Hardinge, Mrs. Nörglerin persönlich, in einem langen schwarzen Ledermantel, und suchte etwas in einer weißen Umhängetasche. Portemonnaie vielleicht? Doch bevor sie es gefunden hatte, hob sie die rechte Hand, als ein Taxi auf der tiefer gelegenen Straße vorfuhr und am Wendeplatz eine Wendung von 180 Grad beschrieb. Der Fahrer stieg aus und öffnete die nähere Hintertür für die elegante, gepäcklose Frau, die gerade die Rampe hinuntergegangen war. Morse war stehengeblieben, scheinbar, um die Reihen der Spielautomaten im Novelty Emporium zu besichtigen, und warf einen Blick auf seine Armbanduhr: 7.50 Uhr
    Das Erdgeschoß war noch immer wie ausgestorben, und kein köstlicher Duft nach gebratenem Speck deutete auf das Beginnen der täglichen Routine im Bay Hotel hin. Morse ging an der eingetopften Riesenpalme vorbei, vorbei an der Statue eines Mädchens, das aus einem Krug ununterbrochen Wasser in den Teich zu ihren Füßen rieseln ließ, und stand schon auf der Treppe, als sein Blick auf den Rezeptionstisch rechts von ihm fiel: eine Vase mit künstlichen Blumen, eine gelbe RNLI-Sammelbüchse, und — unter einem Stapel von Broschüren und Prospekten — das Gästebuch. Er sah sich um. Es war niemand zu sehen.
    Er schaute noch einmal die Angaben durch:
    3.7.1992. — Mr. und Mrs. ₡. A. Hardinge — 16 Cathedral Mews, Salisbury — H 35 LWL — Britisch — Zimmer 14

    Es war das Kennzeichen für Oxfordshire, LWL, gewesen, das ihm am Abend vorher aufgefallen war. Jetzt war es etwas anderes: das ₡. Aber zweifellos war es sie; er hatte beim Essen ihre Zimmernummer am Schlüsselring gesehen. Mit einem leichten Stirnrunzeln ging er die Treppe hinauf; er fragte sich, wie viele verheiratete Frauen fähig waren, die übliche Formulierung für ihren Ehestand einzutragen, ohne über die Initialen zu stolpern. Vielleicht hatte sie erst vor kurzem geheiratet? Vielleicht war sie eine jener emanzipierten Frauen, die plötzlich beschlossen hatte, wenn nur eine Initiale erforderlich war, würde sie ihre eigene nehmen? Vielleicht...
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