Finster
sein.«
»Du bist keine Nervensäge.«
»Du wolltest alleine sein.«
»Ist schon okay. Ich bin froh, dass du hier bist.« Das war zumindest keine richtige Lüge.
Sie strahlte. »Wirklich?«
»Klar.«
»Ich wollte nur … also, es ist ein verdammt langer Marsch bis hierher. Da dachte ich, ich gebe dir einfach einen ordentlichen Vorsprung, fahre dann hier raus und biete dir wenigstens an, dich nach Hause zu fahren. Für den Fall, dass zehn Kilometer dir für eine Nacht genug sind.«
»Wie lange hast du gewartet?«, fragte ich.
»Ehe ich losgefahren bin?« Sie zuckte mit den Schultern. »Ungefähr eineinhalb Stunden. Ich hab mir den Wecker gestellt und ein kleines Nickerchen gemacht. Ich dachte, ich würde dich auf dem Weg einholen. Als ich dich dann nicht gesehen habe, bin ich davon ausgegangen, dass du schon hier bist. Das war wohl ein Irrtum. Spielt aber keine Rolle. Es hat mir nichts ausgemacht zu warten.«
»Ich bin sozusagen einen Umweg gegangen.« »Das dachte ich mir.«
Es schien ihr gleichgültig zu sein. Offenbar war sie einfach froh, dass ich nun bei ihr war.
»Du hast dir reichlich Mühe gemacht.«
»Ach, das war doch nichts.«
»Es war eine ganze Menge.«
»Tja … kein Problem. Ich schaffe mein Zehn-Uhr-Seminar. Was ist mit dir?«
»Ich muss erst um eins zur Uni.«
»Du Glückspilz.«
Ich musste grinsen und probierte einen der Donuts. Meine Zähne brachen durch die Kruste und gruben sich in den saftigen Teig. Die Süße füllte meinen Mund.
»Was hast du denn um eins?«, fragte Eileen.
Ich schluckte ein Stück Donut. »Ein Shakespeare-Seminar.«
»Ah. Mit der Haarsträubenden Hillary Hatchens.« Ich lachte. »Genau.«
»Ich hatte sie letztes Jahr. Schrecklich.«
Eileen war ein Jahr älter als ich, also auch ein Jahr älter als Holly. Sie hatte voriges Jahr im Wohnheim das Zimmer mit Holly geteilt. Nun war sie im letzten Studienjahr und hatte wie ich Englisch als Hauptfach.
Hollys Hauptfach war Psychologie gewesen. Eigentlich kein Wunder. Jeder weiß, dass Psychologie kaputte Typen anzieht.
»Falls du es noch nicht bemerkt hast, Hatchens hasst Männer.«
»Ist mir auch schon aufgefallen.«
»Bestimmt wurde sie mal von einem Kerl sitzengelassen.«
»Es gibt vermutlich niemanden, der sie nicht loswerden will.«
»Obwohl sie eigentlich ziemlich süß ist, oder?«
»Süß, aber beängstigend.«
Eileen nickte grinsend. »Man kann sich kaum vorstellen,
dass ein Mann sich traut, sie anzusprechen und zu fragen, ob sie mit ihm ausgeht. Sie mag mich, und ich hab trotzdem Angst vor ihr.«
Ich nippte an meinem Kaffee, aß noch etwas von meinem Donut und nickte hin und wieder, während Eileen fortfuhr.
»Jedenfalls habe ich letztes Jahr ziemlich gute Noten bekommen. Ich habe alle Klausuren aufbewahrt, die ich bei ihr geschrieben hab. Du kannst sie gerne ausleihen. Ich würde dich auch meine Hausarbeit benutzen lassen, aber das würde sie bestimmt spitzkriegen. Sie ist eine Zicke, aber nicht blöd.« Lächelnd fügte Eileen hinzu: »Trotzdem glaub ich, dass sie nicht so schlau ist, wie sie denkt. Wie auch? Niemand ist so schlau.«
Das brachte mich zum Lachen. Es fühlte sich gut an.
Doch während ich mich über ihren Seitenhieb gegen Dr. Hatchens amüsierte, fragte ich mich, was mit Eileen los war. War sie mitten in der Nacht die ganze Strecke hier hinausgefahren, nur um mich aufzuheitern? Oder wollte sie etwas mit mir anfangen?
Letztes Jahr war sie mir wie eine ältere Schwester von Holly vorgekommen. (In der Studentenverbindung war sie ja auch sozusagen ihre Schwester.) Sie war immer sehr nett zu mir gewesen, aber nur, weil sie fand, dass ich ein guter Freund für Holly wäre.
Das hatte ich jedenfalls gedacht.
Vielleicht hatte ich mich getäuscht.
Oder vielleicht war es letztes Jahr so gewesen . Jetzt war Holly von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht spekulierte Eileen darauf, ihren Platz einzunehmen.
Schwer vorstellbar, warum sie das wollen sollte. Ich war nicht gerade ein Hauptgewinn. Sie war viel zu hübsch, um sich für einen Typen wie mich zu interessieren.
Nachdem sie mich eine Weile meinen Kaffee trinken und essen gelassen hatte, sagte Eileen: »Und, wie war dein Spaziergang?«
»Nicht schlecht. Es war gut, aus der Wohnung rauszukommen. Und es hat mir geholfen, mal an was anderes zu denken als an …« Ich konnte mich nicht überwinden, den Namen auszusprechen.
»La belle dame sans merci?«, schlug Eileen vor.
»So kann man es ausdrücken. Mir würde eine andere
Weitere Kostenlose Bücher