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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem
Autoren: Taavi Soininvaara
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es in Ungarn nicht an Kriminellen fehle. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus sei das Land aufgrund seiner zentralen Lage und der funktionierenden Wirtschaft zum neuen Mafiazentrum Europas geworden. Wegen der blutigen Zusammenstöße der kriminellen Organisationen nannte man Budapest auch Donau-Beirut. Durch den Zusammenschluß von ausländischen mit einheimischen kriminellen Organisationen hatte sich die Lage jedoch in den letzten Jahren beruhigt.
    Auch Ketonen überlegte, ob die Mörder Reinharts die ungarische Zeitung zufällig gewählt hatten oder um ihren Heimvorteil zu nutzen. »Ist Sotamaa schon wieder bei Bewußtsein?« fragte er plötzlich. Der Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung, der Reinhart begleitet hatte, könnte wichtige Informationen über das Geschehen im Atheneum liefern.
    Wrede antwortete als erster. »Das Narkosemittel, mit dem man Pekka betäubt hat, wird für Pferde verwendet. Er redet noch wirres Zeug. Einen vernünftigen Bericht werden wir erst morgen von ihm bekommen. Der Mann ist total deprimiert. Er glaubt, er sei schuld an Reinharts Tod.«
    Ketonen erkundigte sich noch nach den Motorrädern und den Zeugen. Die Polizei von Helsinki suche fieberhaft nach den Motorrädern, erklärte Wrede, und die Sicherheitsabteilung befrage gerade die Zeugen.
    Ratamo hörte verdrossen zu, wie Wrede in seiner wichtigtuerischen Art berichtete. Er fürchtete, dieser Streber, der seinen Westover so liebte, könnte der künftige Chef der SUPO sein. Es gab Gerüchte, Jussi Ketonen gehe im nächsten Sommer in Rente, und Wrede galt als sein wahrscheinlicher Nachfolger. Dem Schotten waren schon einige der weniger wichtigen Aufgaben Ketonens übertragen worden. Der Chef selbst wirkte in der letzten Zeit seltsam abwesend. Jussi wird sich doch nicht etwa jetzt schon aus der Verantwortung zurückziehen, überlegte Ratamo. Seiner Meinung nach war Ketonen als überzeugter Workaholic nicht der Typ, der sehnsüchtig darauf wartete, in Rente zu gehen.
    »Im Rundfunk wurde gesagt, daß eine Organisation die Verantwortung für den Anschlag übernommen hat«, sagte Riitta Kuurma und öffnete den Reißverschluß ihrer Trainingsjacke.
    Wrede fuhr sich so heftig durch seine rote Mähne, daß die Schuppen rieselten, dann wandte er sich Riitta Kuurma und Ratamo zu und berichtete ihnen, daß in vielen Nachrichtenagenturen per Fax eine kurze Mitteilung eingegangen sei. Demnach wurde der Mord an Walter Reinhart von einer Organisation namens »Freies Europa« begangen.
    »Was wissen wir über das ›Freie Europa‹?« fragte Ketonen.
    Wredes Eifer legte sich schlagartig. »Nichts. Interpol, Europol, Eurojust wissen nichts, und auch sonst weiß keiner etwas. Besonders der deutsche Nachrichtendienst BND und das Bundeskriminalamt warten ungeduldig auf mehr Informationen von uns.«
    Der Schotte schämte sich offensichtlich dafür, wie wenig er mit seinen Mitarbeitern bisher herausgefunden hatte.Ratamo war überzeugt, daß er schon bald mit Wrede auf Kriegsfuß stehen würde, sollte dieser Federfuchser neuer Chef der SUPO werden. Jussi Ketonen hingegen war dank seiner Autorität, Erfahrung und Bescheidenheit bei allen beliebt, sie sahen in ihm einen aus ihrer Mitte. Im Gegensatz dazu vertrat Wrede den Typ des Leiters, der es genoß, vor seiner Abteilung zu reiten, sich jedoch niemals die Mühe machte, nachzuschauen, ob ihm überhaupt jemand folgte. Ratamo vermutete, daß Wrede seine Laufbahn schon bis zur Rente geplant hatte; er selbst plante seine Zukunft nur dann, wenn er zwei Kästen Bier auf einmal kaufte.
    Ketonen vertrat die Auffassung, daß die Mitteilung unter dem Namen »Freies Europa« nicht ernst genommen werden konnte. Seiner Meinung nach sollte das Schreiben die Polizei in die Irre führen. »Riitta. Du bist die EU-Expertin, sag uns doch mal, wer den größten Nutzen aus Walter Reinharts Mord ziehen würde?«
    Riitta hielt einen Gummi im Mund, sie band ihre Haare zum Pferdeschwanz. »Da gibt es genug Alternativen.« Ihrer Ansicht nach hing das Motiv für das Attentat nicht mit der Person Reinharts zusammen. Dem beliebten Beamten, der sich nie in den Vordergrund gedrängt hatte, war es gelungen, sich aus den Schlagzeilen herauszuhalten, obwohl die Erweiterung der Union zu den Dauerthemen der Weltpolitik zählte. Wahrscheinlicher war, daß mit dem Mord politische Zwecke verfolgt wurden. »Vielleicht versucht jemand die Erweiterung zu bremsen. Solche …«
    Der Stuhl knarrte, als Wrede aufsprang und Riitta Kuurma unterbrach. Er
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