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Finger, Hut und Teufelsbrut

Finger, Hut und Teufelsbrut

Titel: Finger, Hut und Teufelsbrut
Autoren: Tatjana Kruse
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Klaus strahlte über das ganze Gesicht. »Hast du sie denn nicht gesehen? Echt nicht? Ich habe ihnen den Formationsflug beigebracht! Meine Fruchtfliegen sind in einer eins a Pfeilformation an dir vorbei zur Tür hinausgeflogen! Eine Weltsensation!«
    Klaus klopfte erst sich auf die Brust, dann Bocuse auf die Schulter. »Na, komm rein, darauf müssen wir einen trinken! Päuschen bei Kläuschen, wie in alten Zeiten!« Er legte Mimi auf die Corbusier-Liege neben dem Garderobenständer.
    Mimi, seine langjährige Lebensgefährtin, war kein Weib aus Fleisch und Blut, sondern eine aufblasbare Gummipuppe. Klaus hatte so seine Probleme mit echten Frauen. Die er womöglich nicht hätte, wenn man ihm ansähe, wie reich er war. Aber das sah man ihm nicht an. Fehlanzeige. Bisweilen drückte ihm sogar ein altes Mütterlein verstohlen einen Euro in die Hand und säuselte: »Nicht für Schnaps, sondern fürs Sattessen, gell!«
    Bocuse wollte die Tür schließen.
    »Nein, lass auf«, bat Klaus. »Ich lasse immer ein paar faule Äpfel herumliegen. Dann kommen meine Kleinen wieder!«
    Damit erklärte sich auch, warum im ganzen Loft Dutzende von Duftbäumchen wie kleine Mobiles von der Decke baumelten.
    Wunder-Baum ® Lufterfrischer Bergbrisearoma …
    Das Leben ist wie eine Ketchupflasche – erst kommt nix und dann alles auf einmal.
    Während ein kleiner Franzose namens Bocuse aus dem Zug in Richtung Nürnberg stieg, hievte am Gleis gegenüber ein hagerer Geistlicher seinen Koffer in den Zug in Richtung Stuttgart. Dann wandte er sich an seine Pfarrersgattin. »Meine Liebe, wir sind alle in Gottes Hand. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich mache mir auch nicht die leisesten Sorgen um dich.«
    Dass sich der Mann, den man von Herzen liebt, nicht die leisesten Sorgen um einen machte, war nicht unbedingt das, was man als liebende Frau hören wollte, aber Helmerich Hölderlein war nun einmal Pfarrer, und was konnte sie da anderes erwarten?
    Irmgard Seifferheld-Hölderlein küsste ihren Ehemann dezent auf die Stirn. Bis vor kurzem war sie ein spätes Mädchen gewesen, eine alte Jungfer, ein Blaustrumpf, eine unverheiratete Anfangsechzigerin, doch dann war ihr die Liebe begegnet. In Form von Pfarrer Hölderlein. Das an sich hätte ausgereicht, um sie zur gläubigen Christin zu machen, wenn sie nicht vorher schon aktiv im Kirchenkaffeekomitee und in der Blumenschmuckgruppe von St. Michael gewesen wäre. Aber zwischen Christ und Christ gab es Unterschiede. Sie tat, was man in ihrer Familie seit Erbauung von St. Michael vor achthundert Jahren getan hatte, nämlich jeden Sonntag in die Kirche gehen und eine Münze und keinen Knopf in den Klingelbeutel werfen. Abgesehen davon beschränkte man sich auf ein moralisches Leben. Ihr Bruder Siegfried mochte hin und wieder beten, »Bitte, Herr, mach mich zu dem Menschen, für den mein Hund mich hält«, aber ansonsten war Familie Seifferheld eine glaubensfreie Zone.
    Helmerich Hölderlein dagegen war zwar kein wiedergeborener Christus, aber verdammt nah dran. Für ihn war Jesus ein realer Bundesgenosse im widrigen Alltag, und seinem Kumpel Jesus hatte er, lange bevor ihn Amors Pfeil traf und er das Herz seiner Irmi erobert hatte, versprochen, für drei Monate als Missionar dorthin zu gehen, wohin ihn der Herr – in Gestalt des Landesbischofs – schicken würde. Leider war dieses Versprechen im Hochzeitstrubel etwas untergegangen, und er hatte doch tatsächlich vergessen, seine Zukünftige davon in Kenntnis zu setzen.
    Als Hölderlein dann vor einer Woche den schriftlichen Bescheid des Bischofs erhalten hatte und er seiner Irmi nachträglich von seinem Missionsversprechen erzählte, war sie ihrem Spitznamen »Die Generalin« mehr als gerecht geworden. In diesem Zusammenhang fielen einem die großen, blutigen Begebenheiten der Geschichte ein: Die Schlacht von Waterloo, mit Irmi als Admiral Nelson und Helmerich als Napoleon, oder die Schlacht bei Marathon, mit ihm als vernichtend geschlagenem Perser und Irmi als griechische Siegesgöttin. Man konnte es nicht wirklich ihren ersten Ehestreit nennen, denn zu einem Streit gehörten zwei Konfliktparteien. Bei Irmi und Helmerich handelte es sich dagegen eher um eine Gerölllawine und eine windschiefe Almhütte, und es war nicht schwer zu erraten, wer was war.
    Aber Irmi war auch eine Frau, die sich mit Gegebenheiten abfinden konnte. Sie begriff, dass der Mann, den sie liebte, das Versprechen, das er seinem Herrn und Gott gegeben hatte, nicht brechen
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