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Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)

Titel: Finaler Rettungskuss: Baltasar Matzbachs neunter Fall (German Edition)
Autoren: Gisbert Haefs
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sei mal ein netter Mann gewesen – wann früher, wieso nicht mehr? –, brachte mich der Name dazu, an Dinge zu denken, die ich gründlich vergessen wollte. Oswin Roggendorf, Kamerad in Afghanistan und dort verschollen. Verschwunden, spurlos, wie man so sagt. Tot, wahrscheinlich von den Taliban umgebracht. Niemand wußte es wirklich. Ich erinnerte mich – unabsichtlich; etwas erinnerte sich in mir an ihn und all das, was mit seinem Ende zusammenhing. Dann gab ich mir einen Ruck, stand auf und suchte die Einkaufstasche.
    Coralie hatte ihr Zimmer nicht verschlossen; die Tür war lediglich angelehnt. Ich öffnete sie leise ein wenig weiter und sah, daß die Frau mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag. Ein leichtes Schnaufen oder Röcheln, vermutlich ihre persönliche Form des Schnarchens, sagte mir, daß sie schlief. Ich zog die Tür wieder so weit zu, wie sie es offenbar wünschte, schloß die Küchentür zur Terrasse und verließ das Haus.

3. Kapitel
    Vermutlich werde ich nie begreifen, wie man freiwillig in einem solchen Kaff leben kann. Na ja, nicht leben, aber wohnen. Von dem, was man über ein Haus hinaus zum Leben braucht, gibt es dort nichts – abgesehen von einer Kneipe namens
Die Furt
. Sie erhebt sich, nein, duckt sich am Ufer der Erft, an einer Stelle, wo man diesen gewaltigen Strom früher feuchten Fußes durchqueren konnte. Dort zapft der olle Mick, und seine Frau, die olle Helga, hat mit ihren Würstchen, Käsebroten und Mettbrötchen schon oft Leben gerettet. Beiden habe ich versprochen, den Namen des Orts nicht zu nennen.
    Unabhängig von diesem Versprechen ist er auch nicht erwähnenswert. Das Kaff besteht aus ein paar Straßen, eher zum Parken als zum Fahren, und den an ihnen aufgereihten Häusern, alle nach 1970 gebaut, einige bescheiden, andere protzig. Hier schlafen die Leute, auch wenn sie wachen. Die meisten arbeiten in Erftstadt, Bergheim, Köln, Bonn oder irgendwo dazwischen. Da der nächste Laden zu Fuß anderthalb Stunden entfernt ist, kaufen sie gewöhnlich auf dem Heimweg ein, und wer nicht fremdbestimmt arbeitet – doch, ja, es gibt auch ein paar Hausfrauen, und manche kümmern sich sogar selbst um ihre Kinder –, braucht eben ein zweites Auto. Es gibt einen Schulbus, keine Telefonzelle, einen Briefkasten (Leerung bei Neumond), und wenn zufällig ein Haus in die Luft gesprengt wird, findet man auch Leute auf der Straße.
    Ich fuhr die sechs Kilometer zum Supermarkt und kaufte notdürftig ein. Von zwei Kundinnen, die neben mir an der Fleischtheke standen, erfuhr ich, man habe das Haus des Anwalts Arndt in Brand gesteckt oder gesprengt oder verwüstet oder beschossen, und der arme Mann wisse bestimmt noch nichts davon, weil er sich in Ferien oder im Urlaub in der Karibik oder auf den Kanaren oder Seychellen oder Tahiti aufhalte. Als ich an der Kasse die zuständige Dame animierte, mir ein Päckchen Tabak und Blättchen freizugeben, bildete ich mir ein, draußen auf dem Parkplatz die Silhouette eines Mannes zu sehen, der eigentlich nicht dort sein durfte.
    Er stand an der Seite des Parkplatzes neben einem Gebüsch, in der Nähe der Ausfahrt. Ich brachte meine Einkäufe zu meinem antiken Fiesta, und während ich sie verstaute, sah ich unauffällig hinüber. Er unterhielt sich mit einem Mann, der um die Fünfzig sein mochte, dunklen Anzug, offenes, weißes Hemd und einen sorgsam gestutzten, schwarzen Bart trug. Ich weiß nicht, ob für Zentralasiaten alle Europäer gleich oder wenigstens ähnlich aussehen, muß aber zugeben, daß ich auch nach der Zeit in Afghanistan nicht imstande bin, Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Iraner, Pakistaner optisch zu unterscheiden. Und mir wurde klar, daß ich zwei Tage zuvor etwas versäumt hatte.
    Woher auch immer die Vorfahren des Mannes stammen mochten, er verabschiedete sich jedenfalls mit einem sehr europäischen Grinsen, ging zu einem Audi, stieg ein und fuhr weg. Der andere, der eigentlich nicht hier sein konnte, schloß den etwas verbeulten Passat auf, neben dem die beiden gestanden hatten.
    Als ich den Wagen erreichte, wollte er eben die Fahrertür hinter sich schließen. »He, Rogge«, sagte ich; dabei zog ich die Tür wieder auf.
    Er blickte zu mir hoch, zögerte sichtlich einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Mann«, sagte er, »ausgerechnet du, ausgerechnet hier!«
    »Mußt du gerade sagen. Wie lebt sich’s so als Wiedergänger?«
    Er schnaubte, stieg aus und hielt mir die Hand hin. »Fühlt sich das wie eine Gespensterpfote
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