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Feuersuende

Feuersuende

Titel: Feuersuende
Autoren: Eve Silver
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sich Lokans wiederbelebten Körpers zu bemächtigen. Wenn die Geschichte jetzt vollständig auch aus Lokans Sicht auf den Tisch kam, bestand vielleicht eine Chance, dass er sich der Gefolgschaft einer anderen Gottheit anschließen konnte.
    Eine geringe Chance zwar, aber immerhin. Lokan war bereit, jede auch noch so geringe Wahrscheinlichkeit auszuloten. Denn an Sutekhs Hof zurückzukehren war ein Gedanke, den er nicht ertragen konnte.
    Mal angenommen, er könnte Osiris überzeugen, sich seineranzunehmen, dann gäbe es doch wohl die Möglichkeit, Bryn wiederzusehen? Die aufkeimende Hoffnung brachte gleichzeitig einen unfassbaren Schmerz mit sich. Wenn Lokan die Augen schloss, sah er ihr Gesicht vor sich, hörte er ihre Stimme im Ohr. Er schloss die Augen und gab sich seinen Erinnerungen hin, seinen Wünschen …
    Nein, das brachte ihn nicht weiter.
    Lokan öffnete die Augen wieder und vertrieb all diese Gedanken. Sie waren zu qualvoll. Er fragte sich, ob er es noch einmal erleben würde, dass das Denken an sie nicht mehr so wehtat. Ob es ihm mit Bryn einmal so gehen würde wie mit Richard, seinem sterblichen Bruder, der zu einer lieb gewordenen Erinnerung geworden war, die man von Zeit zu Zeit herausholen und dann aber auch wieder beiseitelegen konnte?
    Die Fähre, die sie aufnahm, war ein mächtiger Kahn. Sein rissiges, fleckiges Holz zeugte von einem beträchtlichen Alter. Es gab weder Bänke noch Sitze, sodass sie alle stehen mussten, während ein mit einer Kapuze verhüllter, schweigsamer Fährmann mit einer langen Holzstange steuerte. Lokan versuchte, einen Blick auf seine Hände zu erhaschen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht auch nur aus Knochen bestanden, die durch nichts als Spinnweben zusammengehalten wurden. Was er in der Todeszone durchgemacht hatte, ließ ihn nicht so schnell wieder los.
    Als sie sich der Flussmitte näherten, schlugen plötzlich die Wellen hoch. Fontänen schossen in die Luft und verwandelten sich im Handumdrehen in eine geschlossene Wand aus fauchenden Flammen. Die Hitze war unerträglich.
    Feuer, Hitze – was jetzt noch fehlte, waren diese verfluchten Schlangen.
    Lokan machte eine rasche, heftige Geste, und die Flammen erstarben augenblicklich. Vor ihnen lag wieder die glatte Wasserfläche des Flusses.
    „So ist es besser“, meinte er. Dann merkte er, dass seine Brüder ihn ungläubig anstarrten. Sogar der Fährmann schien sichverwundert nach ihm umgedreht zu haben, obgleich das unter der Kapuze nicht zu erkennen war.
    „Was ist?“
    „Warst du das eben?“, fragte Dagan.
    Lokan lachte. „Na klar. Ich habe Gewalt über den Feuerfluss, was denkst du denn. Quatsch. Der pure Zufall.“
    „Hmm“, machte Dagan.
    „Diese Schipperei auf dem Styx scheint ja langsam zur Gewohnheit zu werden“, meinte Malthus und erklärte auf Lokans fragenden Blick hin weiter: „Wir waren neulich erst hier, als wir zum großen Treffen gefahren sind.“
    „So viele Plätze gibt es ja für dieses Treffen auch nicht“, erwiderte Lokan. Das andere Ufer des Styx war so etwas wie eine neutrale Zone in der Unterwelt. Da die Mächtigen unter den Unterweltgöttern weder die Erde betreten noch die Grenzen ihres jeweiligen Reichs überschreiten durften, waren die Möglichkeiten, persönlich und ohne Unterhändler zu verhandeln, äußerst eingeschränkt.
    „Wurden keine Geiseln ausgetauscht?“, fragte Lokan. So ein Austausch, eine ziemlich verwickelte und langwierige Prozedur, gehörte aus Gründen der gegenseitigen Absicherung normalerweise zu den Begleitumständen einer Konferenz der Unterweltfürsten.
    Alastor schüttelte den Kopf. „Sutekh hat seinen eigenen Sohn umgebracht. Überleg mal. Das bringt so einiges ins Wanken.“
    Lokan verstand, was er meinte. Wenn Sutekh nicht davor zurückscheute, den eigenen Sohn umzubringen, bedeutete auch der Austausch von Geiseln keine Sicherheit mehr. „Dann ist aber nicht gesagt, dass wirklich alle erscheinen.“
    „Sie werden erscheinen“, entgegnete Dagan und sah Lokan aus seinen grauen Augen ruhig an. „Du hast das Treffen einberufen. Das Feuerwerk wird sich keiner entgehen lassen, wenn du auf unseren …“ Dagan unterbrach sich und verzog das Gesicht zu einer bitteren Miene. „… auf Sutekh triffst“, fuhr er fort.
    So sicher war Lokan sich nicht, dass es zu einem Feuerwerkkommen würde. Bei aller Wut auf ihn und allem Hass blieb er doch noch immer ein Untergebener seines Vaters. Sutekh war ein Gott, und er war ihm nicht ebenbürtig, sosehr das
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