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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen
Autoren: Jeanine Krock
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konnte in der Ferne das Meer erkennen. Auf einem Hügel, eingebettet zwischen Wiesen und Pferdekoppeln, die von Buschwerk, Steinmauern und weiß gestrichenen Holzzäunen getrennt wurden, thronte ein elisabethanisches Herrenhaus im gleichen Steingrau , das auch die historischen Gebäude von Ivycombe prägte. Stanmore House . Sie erkannte es sofort. Ein ähnliches Motiv hatte sie im Internet gesehen.
    Dahinter, nicht weit von der Küste entfernt, sah sie einige kleinere Gebäude sowie die landesweit bekannten Stanmore Stables, deren edle Pferde weltweit einen hervorragenden Ruf besaßen. Landeinwärts, zwischen hohen Bäumen versteckt, war eine Reihe von Cottages zu sehen – mit ziemlicher Sicherheit das Zuhause der zahlreichen Angestellten, die Lord Hubert zweifellos beschäftigte, um seinen Besitz in diesem gepflegten Zustand zu erhalten.
    »Da soll ich wohnen?« Milas Herz klopfte auf einmal schneller, und die verrücktesten Bilder schossen ihr durch den Kopf. »Keine üble Bleibe für ein armes Immigrantenkind.«
    »Hu! Jetzt kommt die Nummer.« Florence schüttelte den Kopf. »Erstens hast du seit deiner Geburt einen britischen Pass, und zweitens leben wir inzwischen im einundzwanzigsten Jahrhundert.«
    Und immer noch in einer Klassengesellschaft , dachte Mila. Doch sie sagte nichts dazu, sondern sah zum Herrenhaus: »Heißt es denn nicht, Pünktlichkeit sei die Höflichkeit der Könige?«
    »O verflixt!« Florence sah auf ihre Armbanduhr und trat aufs Gaspedal.
    Zum ersten Mal war Mila froh über den kürzlich erworbenen Geländewagen, für den sie beide in London extra eine Garage hatten anmieten müssen. Nun gaukelte ihr eine beachtliche Menge Blech um sie herum zumindest eine gewisse Sicherheit vor. Florence’ Bruder, der irgendwo im Norden Englands eine Land- und Forstwirtschaft betrieb, hatte den Wagen unter – wie Mila fand – fadenscheinigen Gründen ausrangiert und ihnen zum Spottpreis, aber komplett überholt, überlassen.
    Die Geschwister ihrer Freundin, das hatte sie bald herausgefunden, umgingen immer wieder höchst kreativ die Kontaktsperre, die Florence’ Vater – die Mutter lebte nicht mehr – über sie als das schwarze Schaf der Familie verhängt hatte . Die Schwester brachte bei Besuchen ihren halben Kleiderschrank mit, und der Bruder ließ gelegentlich Präsentkörbe aus seinem Hofladen schicken, deren Inhalt man auch bei Harrods hätte finden können. Inzwischen beglichen ihre Kunden zwar die Rechnungen pünktlich, Florence konnte sich selbst recht gut versorgen und Mila sogar ein passables Gehalt zahlen. Aber die älteren Geschwister hatten es sich in den Kopf gesetzt, ihren Floh beschützen zu müssen.
    Als sie nun die elegant geschwungene Zufahrt hinter sich gelassen hatten und vor dem Haus hielten, schlug die Uhr im Giebel dreimal. Noch etwas mitgenommen von der rasanten Fahrt stieg Mila aus und sah, wie sich die mächtige Eingangstür öffnete. Florence hatte den Wagen umrundet und flüsterte ihr zu: »Entspann dich. Das ist nur der Butler!«
    »Meinst du?«, fragte sie belustigt zurück.
    Anstelle eines distinguierten Hausangestellten im dunklen Anzug stand eine Blondine in der Tür und sagte mit heller Stimme: »Pünktlich. Sehr gut.«
    Je näher sie kamen, desto stärker wurde der Eindruck, dass hier jemand außerordentlich bemüht war, dem Bild einer britischen Landadligen zu entsprechen und dabei ein wenig übertrieben hatte: das Haar eine Spur zu blond, die Figur bis hin zum Dekolleté ein bisschen zu betont. Florence hätte eine Liste sämtlicher Fauxpas aufzählen können, doch natürlich war sie viel zu wohlerzogen, um sich ihr Erstaunen anmerken zu lassen.
    Mila war da nicht so zurückhaltend und imitierte leise den nicht zu überhörenden amerikanischen Akzent. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass sie Ausländerin ist.«
    » Pst !« Florence sah sie vorwurfsvoll an und lief schnell die Stufen zur Haustür hinauf, um ihre Gastgeberin zu begrüßen. »Lady Margaret. Wie nett, dass Sie Zeit für uns haben!«
    Die überraschend junge Hausherrin bat sie herein. Mila gönnte sie dabei nur einen kurzen Blick, der klar verriet, was sie von rothaarigen, hochgewachsenen Frauen hielt.
    Na toll! Mit dieser Zicke muss ich jetzt also wochenlang zusammenarbeiten , dachte Mila. Wie hieß es so schön? Für Volk und Vaterland! In diesem Fall allerdings arbeiteten sie für die britische Finanzbehörde, die demnächst eine schwindelerregende Zahlung von ihnen erwartete. Und Florence hatte
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