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Feuerklingen (First Law - Band 2)

Feuerklingen (First Law - Band 2)

Titel: Feuerklingen (First Law - Band 2)
Autoren: Joe Abercrombie
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dauerte einen Augenblick, bis er merkte, dass die Scheide leer war.
    Die Nordmänner. West fühlte Angst wie einen Stich in seinem Magen. Die Nordmänner hatten ihn erwischt, ihn und auch Burr. Meuchelmörder, von Bethod ausgesandt, um sie zu töten. Von irgendwoher jenseits der Bäume erklang ein raschelndes Geräusch; mit Mühe versuchte er herauszufinden, worum es sich handelte. Die Wachleute, die ihnen die Straße hinunter folgten. Wenn er ihnen nur irgendwie ein Zeichen geben könnte …
    »Hier drüben …«, krächzte er schrecklich heiser, bevor eine dreckige Hand ihm den Mund verschloss und ihn ins nasse Unterholz zog. Er wehrte sich, so gut er konnte, aber er hatte keine Kraft mehr. Er sah, wie die Umrisse der Wachleute nur ein paar Dutzend Schritt entfernt durch die Bäume aufblitzten, aber er konnte nichts tun.
    Nun biss er in die Hand, so heftig er konnte, aber sie fasste nur noch härter zu, presste seinen Kiefer zusammen und zerdrückte seine Lippen. Er schmeckte Blut. Sein eigenes vielleicht, oder aber Blut von der Hand. Die Geräusche der Wachleute wurden immer leiser und waren schließlich verschwunden, und nun packte ihn die Angst. Die Hand ließ los, gab ihm abschließend einen Schubs, und er fiel auf den Rücken.
    Über ihm kam ein verschwommenes Gesicht in sein Blickfeld. Ein hartes, hageres, brutales Gesicht, umgeben von kurz abgesäbeltem schwarzem Haar, die Zähne in einer tierischen Grimasse gebleckt, mit kalten, flachen Augen, in denen reine Wut flackerte. Das Gesicht wandte sich ab und spuckte auf den Boden. Auf der anderen Seite des Kopfes war kein Ohr. Nur eine rosige, wulstige Narbe und ein Loch.
    Noch nie in seinem Leben hatte West einen derartig bösartig aussehenden Menschen erblickt. Seine ganze Erscheinung schien von Gewalt geprägt. Er sah aus, als sei er stark genug, um West zu zerreißen, und als habe er auch gute Lust, das zu tun. Blut tropfte von einer Wunde an seiner Hand. Der Wunde, die Wests Zähne hinterlassen hatten. Es tropfte von seinen Fingern auf den Waldboden. Seine andere Faust umklammerte einen langen, glatten, hölzernen Stiel. Wests Augen glitten voller Entsetzen daran entlang. An seinem Ende saß ein schweres, geschwungenes Metallblatt, hell glänzend poliert. Eine Axt.
    Das war also ein Nordmann. Nicht von der Art, wie sie betrunken in den Gossen von Adua lagen. Auch nicht von der Art, wie sie zum Hof seines Vaters gekommen waren und um Arbeit gebettelt hatten. Sondern von der anderen Art. Jener, von der seine Mutter ihm Schauermärchen erzählt hatte, als er noch ein Kind gewesen war. Ein Mann, dessen Arbeit, dessen Vergnügen und dessen ganzer Lebenszweck darin bestand zu töten. West sah von der glänzenden Axt zu den harten Augen und zurück, wie betäubt vor Entsetzen. Er war erledigt. Er würde hier im kalten Wald sterben, im Dreck wie ein Hund.
    Getrieben von dem plötzlichen Drang wegzulaufen, stützte West sich auf einer Seite auf. Er sah hinter sich, aber auch dort gab es kein Entkommen. Ein Mann hielt durch die Bäume auf sie zu. Ein großer Mann mit einem dichten Bart und einem Schwert über der Schulter, der ein Kind auf seinen Armen trug. West zwinkerte in dem Bemühen, den Maßstab richtig einzuschätzen. Es war der größte Mann, den er je gesehen hatte, und das Kind war Lord Marschall Burr. Der Riese warf seine Last auf den Boden wie ein Bündel Feuerholz. Burr starrte zu ihm hoch und rülpste.
    West knirschte mit den Zähnen. Einfach so loszureiten, der alte Narr, was hatte er sich nur dabei gedacht? Er hatte sie beide umgebracht mit dieser beschissenen Idee, »einfach mal loszupreschen«. Man fühlte sich lebendig? Keiner von ihnen beiden würde das noch länger als eine Stunde tun.
    Er musste kämpfen. Jetzt war vielleicht seine letzte Gelegenheit gekommen. Selbst wenn er nichts hatte, womit er kämpfen konnte. Besser, man starb auf diese Weise, als auf den Knien im Dreck. Er versuchte, Zorn in sich aufsteigen zu lassen. Wenn er ihn nicht brauchen konnte, hatte er endlos viel davon. Jetzt war da gar nichts. Nur diese verzweifelte Hilflosigkeit, die jedes seiner Glieder bleischwer werden ließ.
    Er war ein schöner Held. Ein schöner Kämpfer. Er konnte sich gerade davor zurückhalten, sich in die Hosen zu pissen. Eine Frau konnte er schlagen, das schon. Seine Schwester hatte er halb zu Tode würgen können. Bei der Erinnerung daran hatte er noch immer das Gefühl, vor Scham und Ekel zu ersticken, selbst jetzt, da ihm sein eigener Tod ins
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