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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer
Autoren: Sara Paretsky
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beschloss, kein Aufhebens davon zu machen - sie wären ohnehin wohl eher geschmeichelt als empört gewesen. Ich ließ ihnen eine Viertelstunde Zeit, dann holte ich meine Trainertafel heraus und zeichnete Spielzüge auf. Marcena war fair - als sie merkte, dass die Mädchen lieber mit ihr reden als mir zuhören wollten, legte sie ihre Sachen weg und sagte, sie wolle nach dem Training weitermachen.
    Ich schickte die Mädchen wieder ins Übungsspiel. Marcena schaute ein paar Minuten zu, dann kraxelte sie die klapprige Tribüne hoch und ließ sich neben Sandras Freund nieder, der sich ruckartig aufsetzte und weitaus lebhafter wirkte als zuvor. Was wiederum Sandra so ablenkte, dass sie einen Routinepass vermasselte und dem anderen Team Punkte schenkte.
    »Aufs Spiel achten, Sandra«, bellte ich in bestem Coach-McFarlane-Stil, war aber doch erleichtert, als ich sah, dass die Reporterin von der Tribüne kletterte und hinausschlenderte; das war der Konzentration förderlich.
    Als Marcena am Abend vorher beim Essen vorschlug, mich zum Training zu begleiten, versuchte ich, ihr die Idee auszureden. Man hat eine lange Anfahrt nach South Chicago, und ich sagte ihr, dass ich sie nicht ins Zentrum chauffieren könne, falls ihr langweilig würde.
    Love lachte. »Ich langweile mich nicht so schnell. Ich mache eine Serie für den Guardian über das Amerika, das Europäer nicht zu sehen bekommen. Irgendwo muss ich anfangen, und wer könnte unsichtbarer sein als die Mädchen, die du da unterrichtest? Deinen Aussagen zufolge werden die weder Olympiasieger noch Nobelpreisträger werden, sie kommen aus sozial schwachen Familien, sind minderjährige Mütter... «
    »Kurz gesagt, wie die Mädchen in South London«, warf Morrell ein. »Ich glaube nicht, dass du da eine weltbewegende Story hast, Love.«
    »Aber es könnte eine dabei herausspringen«, erwiderte sie. »Vielleicht das Porträt einer amerikanischen Detektivin, die zu ihren Wurzeln zurückkehrt. Detektivgeschichten kommen immer gut an.«
    »Du könntest die Geschichte der Mannschaft verfolgen«, pflichtete ich ihr mit geheuchelter Begeisterung bei. »Könnte eines dieser Rührstücke werden, bei denen diese Mädchen, die zu wenig Bälle und Trikots haben, unter meiner inspirierenden Führung Landesmeisterinnen werden. Aber, weißt du, das Training dauert zwei Stunden, und ich hab direkt danach eine Verabredung mit einem Firmenchefin der Gegend. Wir sitzen dann in der runtergekommensten Ecke der Stadt - da gibt's nicht viel zu tun für dich, falls du es öde findest.«
    »Ich kann doch jederzeit gehen«, meinte Love.
    »Raus auf die Straßen mit der höchsten Mordrate Chicagos.«
    Love lachte wieder. »Ich komme gerade aus Bagdad. Ich habe aus Sarajewo, Ruanda und Ramallah berichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Chicago schlimmer zugeht als an einem dieser Orte.«
    Ich hatte ihr natürlich beigepflichtet; blieb mir ja nichts anderes übrig. Ich hatte Love nur nicht mitnehmen wollen, weil sie mir nicht in den Kram passte - und das lag wiederum daran, dass ich eifersüchtig, verunsichert oder einfach bloß eine Straßenkämpferin aus der South Side mit Komplexen war. Wenn die Mannschaft ein Presseecho bekam - und sei es im Ausland -, würde mir das die Suche nach einem Sponsor womöglich erleichtern.
    Trotz ihrer vollmundigen Beteuerungen, dass sie in Kabul und der West Bank auf sich selbst aufgepasst hätte, zog Love ein bisschen den Kopf ein, als wir bei der Schule eintrafen. Die ganze Gegend ist schon zum Heulen -jedenfalls empfinde ich das so. Als ich zwei Wochen vorher an dem Haus vorbeifuhr, in dem ich aufgewachsen bin, brach ich tatsächlich in Tränen aus. Die Fenster waren zugenagelt, und der Garten, in dem meine Mutter liebevoll bocca di leone gigante und eine japanische Kamelie gezogen hatte, war mit Unkraut zugewachsen.
    Das Schulgebäude ist mit Graffiti besprüht, die Fensterscheiben sind eingeworfen, überall liegt Müll herum, und sämtliche Eingänge bis auf einen sind mit fünf Zentimeter dicken Stahlketten versperrt. Dieser Anblick zieht jeden runter. Selbst wenn man die Ketten und den Dreck nicht mehr richtig wahrnimmt, wird man doch davon beeinflusst. Schüler und Lehrer, die sich in so einer Umgebung aufhalten müssen, sind zwangsläufig irgendwann deprimiert und reizbar.
    Marcena war auffallend schweigsam, als wir dem Wachmann unseren Ausweis vorzeigten. Sie murmelte nur, dass sie diese Zustände aus dem Irak und von der West Bank kenne, aber nicht
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