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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Autoren: Susannah Calahan
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als Erinnerung ab, die später wieder abgerufen werden kann. Wird irgendein Teil dieses komplizierten Systems beeinträchtigt, kann sich keine Erinnerung bilden.
    Daher werde ich wahrscheinlich nie die Zeit vergessen, als ich in meinem Kopf den Psychiater altern lassen konnte, was genau zeigt, wie fehlbar das Gedächtnis ist. Diese Erkenntnis wird mich immer verfolgen.
    Ich erinnere mich zum Beispiel mit absoluter Sicherheit an den Moment, als ich in dem Vierbettzimmer der Station mit hochintensiver Überwachung aufwachte, festgebunden, unter dem aufmerksamen Blick der »lila Dame«, die Szene am Anfang dieses Buches. Ich erinnere mich lebhaft, auf meine rechte Hand geschaut zu haben und dort das orange Band gesehen zu haben, auf dem stand: » FLUCHTGEFAHR« . Meine Familie und Freunde erinnerten sich ebenfalls daran, daher konnte ich voraussetzen, dass es die Wahrheit war. Das Bändchen FLUCHTGEFAHR erschien mir als Tatsache.
    Dennoch stellte sich heraus, dass ich es mir eingebildet hatte. Als ich mit Schwestern und Ärzten der Station sprach, sagten sie mir, dass es solche Bändchen nicht gibt. Eine Schwester meinte: »Wahrscheinlich trugen Sie ein Bändchen mit der Aufschrift STURZRISIKO. Das war jedoch nicht orange, sondern gelb.« Meine EEG-Aufzeichnungen bestätigen dies. Nirgends ist ein orangefarbenes Bändchen mit FLUCHTRISIKO zu sehen.
    »Wenn Leute über ein vergangenes Ereignis nachdenken, können sie in ihre Erinnerung neue Informationen einbinden und eine neue Erinnerung daraus machen«, erklärte Psychologin Elizabeth Loftus. Frau Dr. Loftus beschäftigt sich ihr ganzes Berufsleben über mit der Vermutung, dass das Gedächtnis häufig ungenau ist. In einer Studie von 1978, die inzwischen den meisten Psychologiestudenten vorgestellt wird, zeigte Frau Dr. Loftus den Teilnehmern Fotos eines roten Autos, das einen Fußgänger anfährt. Obgleich die Bilder bewiesen, dass das Auto ein Stoppschild überfahren hatte, ließ Frau Dr. Loftus bei der Befragung absichtlich irreführende Fragen einfließen wie: »Welche Farbe hatte das Vorfahrt gewähren- Schild?« Die Studie zeigte, dass Probanden, denen maßgebliche Informationen gegeben wurden, eher unkorrekt antworteten als die Probanden, denen man diese Informationen nicht gegeben hatte.
    Ein Team von Neurowissenschaftlern aus New York wies im Jahr 2000 diese Annahme bei Laborraten nach, indem getestet wurde, ob Erinnerungen bei jedem erneuten Abruf verändert werden. Das Team deckte einen weiteren Schritt im Erinnerungsprozess auf, die sogenannte Rekonsolidierung: Beim Abruf einer Erinnerung wird diese wesentlich umgearbeitet, sodass neue (und manchmal falsche) Informationen integriert werden können. Normalerweise ist das nützlich, weil wir in der Lage sein müssen, unsere vergangenen Erfahrungen zu aktualisieren, um gegenwärtige Informationen zu reflektieren; manchmal jedoch entstehen dadurch abwegige Ungenauigkeiten.
    Psychologieprofessor Dr. Henry Roediger nennt das, was mit dem FLUCHTGEFAHR-Bändchen geschah, eine Form sozialer Ansteckung: Wenn eine Person sich falsch erinnert und diese Erinnerung anderen mitteilt, kann sie sich verbreiten wie eine Tröpfcheninfektion, direkt aus dem Film Outbreak – Lautlose Killer.
    Barg ich diese falsche Erinnerung in mir? War ich diejenige, die sie weiterverbreitete? Ich bin sicher, dass ich mich genau daran erinnere, das Wort FLUCHTGEFAHR an meinem Arm gesehen zu haben. Oder?

Kapitel 52
Madame X
    »U nsere Gehirne erfinden gerne kleine Geschichten«, erklärte Frau Dr. Chris Morrison, die Neuropsychologin, die mich im Krankenhaus untersucht hatte, als ich sie im Dezember 2010 interviewte. »Es ist möglich, dass Sie Dinge, die Sie oft wiederholen, allmählich verinnerlichen und daran glauben. Sie integrieren Fragmente, Szenen von Dingen, an die Sie sich eigentlich nicht wirklich erinnern können.« Wie das FLUCHTGEFAHR-Bändchen.
    Ähnlich wird im Gehirn ein Abrufmechanismus ausgelöst, wenn wir etwas Wiedererkennbares sehen. Gerüche und Bilder versetzen uns sofort in eine andere Zeit zurück und setzen vergessene Erinnerungen frei. Ein Jahr, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen worden war, nahm meine Freundin Colleen mich in ein nahe gelegenes Pub namens Egan’s mit.
    Der Name irritierte mich. War ich schon einmal hier gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern.
    Wir betraten das exklusive Irish Pub und gingen Richtung Theke. Nee. Hier war ich noch nie gewesen. Als ich jedoch in den zentralen
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