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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
Autoren: Susannah Calahan
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dass die Wiedererinnerung nicht in unserer Macht steht . «
    Vielleicht ist die Erinnerung nicht fort, sondern befindet sich irgendwo in den Nischen meines Geistes und wartet auf das passende Stichwort, um wieder aufzutauchen. Bisher ist dies nicht geschehen, sodass sich mir die Frage stellt: Was habe ich sonst noch unterwegs verloren? Und ist dies wirklich verloren oder nur verborgen?
    Ein verborgenes Gefühl verbindet mich sehr stark mit diesem Gemälde. Ich habe es in dem Zimmer, in dem ich schreibe, an die Wand gehängt, und ertappe mich häufig dabei, dass ich es gedankenverloren anstarre. Auch wenn »ich« vielleicht nicht da war, um es beim ersten Mal zu erleben, war ein Teil von mir nichtsdestotrotz bei diesem Museumsbesuch anwesend und vielleicht auch während des gesamten verloren gegangenen Monats. Dieser Gedanke tröstet mich.

Kapitel 53
Die lila Dame
    B einahe zwei Jahre nach meiner Entlassung aus der Epilepsie-Station im New York University Langone Medical Center kehre ich zu einem Besuch dorthin zurück.
    Ich gehe die First Avenue hinauf zu dem lila NYU-Schild, das aus der Ferne an dem massiven grauen Krankenhausgebäude zu sehen ist. Ich drücke gegen die schwerfällige Drehtür, die auf ein langsames Tempo eingestellt ist, um sich Rollstuhlfahrern anzupassen, und durch die man in die moderne Eingangshalle des Krankenhauses gelangt. Ärzte in weißen Kitteln gehen schnell an Patienten und verschiedenen Arzneimittelvertretern vorbei, die aussehen wie gealterte Mitglieder studentischer Bruderschaften. Traurige Besucher mit Tüten, auf denen »Patienten-Eigentum« steht, verschwinden im Hintergrund. An den Türen hängen automatische Spender für Händedesinfektionsmittel der Marke Purell. Ich gehe am Aufnahmebereich vorbei, wo ich meinen Krampfanfall hatte, auch wenn das Einzige, woran ich mich von diesem Tag erinnern kann, der heiße Cappuccino ist, den ich kurz vor meiner Aufnahme gekauft hatte.
    Ich nehme den Aufzug, der mich in den zwölften Stock bringt. Meine Gedanken wandern zu meinen Eltern und zu Stephen, die diesen Weg einen Monat lang mehrmals am Tag gegangen sind. Unglaublich.
    Merkwürdigerweise wirkt jedoch alles fremd auf mich. Keine der Schwestern erkennt mich. Ich gehe den Flur entlang und am Schwesternzimmer vorbei. Niemand schaut auf. Ein Mann, der ausgestreckt auf dem Boden des Flurs liegt, gibt ein gurgelndes Geräusch von sich. Die Schwestern aus dem Schwesternzimmer rennen an mir vorbei zu ihm. Ich gehe hinter ihnen her. Der schon etwas ältere Mann schlägt um sich, stößt primitive gutturale Grunzlaute aus. Ein Schwesternteam hält ihn am Boden, während ein Sicherheitsbediensteter ihn auf eine Bahre hebt. Der Kittel des Mannes steht unter seinem Bauchnabel offen. Ich wende den Blick ab. Eine Schwester in einem grünen Kittel geht neben mir.
    »Ist das die Epilepsie-Station?«, frage ich sie.
    »Nein. Sie sind im falschen Stockwerk. Hier ist der Ostflügel. Die Epilepsie ist auf demselben Stockwerk, aber im Westflügel.« Gut, dieses Mal zumindest hat mir mein Gedächtnis keinen Streich gespielt.
    Ich kehre in die Lobby zurück und nehme den anderen Aufzug, stelle aber zu meiner Enttäuschung wieder fest, dass mir nichts vertraut erscheint. Dann erfasst mich der Geruch: eine Kombination aus mit Alkohol getränkten Wattestäbchen und einer süßen Note. Hier ist es; hier muss es sein. Dann sehe ich sie. Die lila Dame. Sie starrt mich an. Aber dieses Mal nicht mit Entsetzen, Mitleid oder Angst. In ihren Augen bin ich eine normale, gesunde Person, lediglich jemand, dessen Gesicht sie einzuordnen versucht.
    Ich lächle. »Erinnern Sie sich an mich?«, frage ich.
    »Ich bin nicht sicher«, gibt sie zu. Da ist wieder dieser jamaikanische Akzent. »Wie heißen Sie?«
    »Susannah Cahalan.«
    Ihre Augen werden ganz groß. »Oh ja, ich erinnere mich an Sie. Ich erinnere mich.« Sie lächelt. »Ich bin sicher, dass Sie es sind, aber Sie sehen so anders aus. Sie sehen so viel besser aus.«
    Bevor ich darüber nachdenke, umarmen wir uns. Sie riecht nach Purell. Bilder strömen an meinem inneren Auge vorbei: mein Vater, der mich mit Haferflocken füttert, meine Mama, die ihre Hände ringt und nervös aus dem Fenster blickt, Stephen, der mit dieser Lederaktentasche kommt. Ich könnte weinen, aber stattdessen lächle ich.
    Die lila Dame küsst mich sanft auf die Wange.
Anmerkungen
Kapitel 1: Der Wanzen-Blues
    Seite 22: …die unter einem Dermatozoenwahn leiden: Nancy C. Hinkle: »Delusory
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