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Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Titel: Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Mats Strandberg
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Friedhof?
    Sie hat noch eine dritte rote Rose in ihrer Stofftasche. Die ist für ihre Mutter.
    Linnéa will gerade zum Gedenkstein für die anonymen Gräber gehen, als sie einen schwarzen Schatten bemerkt, der zwischen den Grabsteinen über den Boden huscht.
    Sie bleibt stehen.
    Sie hört ein lang gezogenes Miauen und Nicolaus’ Familiaris schlüpft vor ihr auf den Weg. Die Katze, die nie einen anderen Namen als Katze bekommen hat, scheint über den Sommer noch mehr Fell verloren zu haben. Sie starrt Linnéa mit ihrem einen grünen Auge an.
    Linnéa hat es noch nie geschafft, die Gedanken eines Tiers zu lesen, aber sie versteht sofort, dass die Katze etwas von ihr will. Sie streckt sich und maunzt. Dann schleicht sie auf einen schmalen Pfad, der zum älteren Teil des Friedhofs führt. Immer wieder hält sie an, um sicherzugehen, dass Linnéa ihr folgt.
    Im Schatten der niedrigen Steinmauer, die den Friedhof umgibt, bleibt die Katze vor einem etwa einen Meter hohen Grabstein stehen. Er ist über und über mit Moos und hellgrauen Flechten bewachsen.
    Die Katze miaut laut und fordernd und stupst den Kopf sacht gegen den Stein.
    »Ja, ja«, sagt Linnéa und kniet sich hin.
    Der Boden fühlt sich an ihren nackten Beinen überraschend kühl an. Sie streckt die Hand aus, kratzt das Moos vom Grabstein und versucht, die verwitterten Buchstaben zu entziffern.
    NICOLAUS ELINGIUS
    MEMENTO MORI

    Eine Kälte breitet sich in Linnéas Körper aus, als würden sich die Seelen der Toten durch die Erde nach ihr ausstrecken.

2. Kapitel
    I
m Garten auf der Rückseite des Hauses, im Schatten eines Ahorns, hat sich Minoo eine Ecke eingerichtet, in die sie sich mit ihren Büchern auf einen Liegestuhl zurückziehen kann. Der Platz ist so weit vom Haus entfernt, wie es nur möglich ist. Leider nicht weit genug, um zu ignorieren, was drinnen vor sich geht.
    Minoo kann durch das Küchenfenster die Silhouette ihres Vaters sehen, der mit großen Schritten quer durch den Raum marschiert. Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden ist, hört sie ihn brüllen. Eigentlich müssten die Fensterscheiben klirren, so laut ist er. Mama schreit irgendwas zurück. Minoo setzt Kopfhörer auf und versucht, sich in Nick Drakes Lied zu verlieren. Aber die Musik bewirkt nur, dass sie die Geräusche, die sie auszuschließen versucht, noch deutlicher wahrnimmt.
    Bis vor Kurzem leugneten ihre Eltern noch, dass sie Streit hatten, nannten es »Diskussionen«, wenn sie wegen Arbeitszeiten und Papas Gesundheit aneinandergerieten. Aber irgendwann im Laufe des Sommers hörten sie auf, so zu tun als ob alles gut wäre.
    Vielleicht wäre es erwachsen, die Streitereien gesund zu finden. Weil das, was so lange unter der Oberfläche brodelte, endlich rauskommt. Aber Minoo fühlt sich wie ein ängstliches Kleinkind, wenn sie an das Wort »Scheidung« denkt. Vielleicht wäre es einfacher, wenn sie Geschwister hätte. Aber diese Familie ist nun mal die einzige, die sie hat. Mama, Papa und sie.
    Minoo versucht, sich auf das Buch zu konzentrieren, das auf ihren Knien liegt. Es ist ein Georges-Simenon-Krimi, den sie in Papas Regal gefunden hat. Der Buchrücken ist brüchig und manchmal fallen ihr beim Umblättern vergilbte Seiten entgegen. Es ist ein gutes Buch. Glaubt sie wenigstens. Es gelingt ihr absolut nicht, sich auf die Handlung einzulassen. Als wäre die Tür zur Welt des Buches für sie verschlossen.
    Aus den Augenwinkeln erspäht Minoo etwas Helles. Hastig nimmt sie die Kopfhörer ab und dreht sich um.
    Gustaf hat ein weißes T-Shirt an, das seine sonnengebräunte Haut hervorhebt, den goldenen Glanz in den sommerblonden Haaren. Manche Menschen sind offenbar wie für den Sommer geschaffen. Minoo gehört eindeutig nicht dazu.
    »Hi«, sagt er.
    »Hi«, erwidert Minoo.
    Sie wirft einen nervösen Blick zum Haus. Drinnen ist es still. Aber wie lange noch?
    »Du siehst überrascht aus«, sagt Gustaf. »Hast du vergessen, dass wir für heute verabredet sind?«
    »Nein, ich habe nur die Zeit ein bisschen aus dem Blick verloren.«
    Im Haus knallt eine Tür und Papa brüllt wieder. Mama antwortet mit einer langen Schimpftirade. Gustaf lässt sich nichts anmerken, aber er muss die beiden gehört haben. Minoo steht so abrupt auf, dass ihr das Buch ins Gras fällt. Sie lässt es liegen.
    »Komm«, sagt sie und geht mit schnellen Schritten weg.
    Als sie am Gartenzaun angekommen ist, dreht sie sich ungeduldig um. Gustaf hat das Buch aufgehoben und auf den Liegestuhl gelegt. Er schaut
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