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Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)

Titel: Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Mats Strandberg
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aus wie ein Mund. Die rissige Rinde hat die Farbe von Asche
    Dieser Baum war vorher noch nicht da.
    Der Gedanke ist natürlich lächerlich. Ein Baum schleicht sich nicht an. Und schon gar kein toter.
    Anna-Karin steht auf. Das Schwindelgefühl kommt zurück. Sie muss nach Hause. Braucht Wasser.
    Aber der tote Baum lockt sie. Sie verlässt den Weg und geht auf ihn zu. Trockene Zweige knacken unter ihren Füßen. Ein lautes Geräusch in der kompakten Stille. An manchen Stellen sind die Blaubeerbüsche so verdorrt, dass sie zu Staub zerfallen, sobald sie darauftritt. Sie streckt eine Hand aus, berührt den heißen Stamm und geht mit einem traumähnlichen Gefühl weiter.
    Hinter dem gespenstischen Baum liegt ein schroffer Abhang. In der Ferne sieht sie die Schornsteine der stillgelegten Stahlhütte.
    Hier und da sind noch mehr kahle Bäume zu erkennen. Hohe Stämme, die von der Sonne zu weißen Gerippen ausgeblichen worden sind.
    Schuld daran ist nicht nur die Trockenheit, sie weiß es plötzlich, ohne zu ahnen, woher diese Erkenntnis kommt. Da ist etwas anderes, das den Wald sterben lässt.
    Langsam dreht sie sich um. Es dauert ein paar Sekunden, bis sie den Fuchs entdeckt, der direkt neben dem Baumstumpf steht, auf dem sie eben noch gesessen hat. Seine bernsteinfarbenen Augen erwidern ruhig ihren Blick.
    Die Sonne drückt wie ein glühend heißes Gewicht auf Anna-Karins Kopf, und der Schweiß rinnt ihr in die Augen, während sie und der Fuchs sich gegenseitig mustern. Sie wagt es nicht, sich zu rühren, will ihn nicht erschrecken.
    Aber schließlich muss sie sich die Augen reiben, das brennende Salz wegwischen.
    Als sie ihre Hände herunternimmt, ist der Fuchs verschwunden.

    Anna-Karin tritt im Altenheim aus dem Aufzug. Ihre Sohlen machen schmatzende Geräusche auf dem Kunststoffbelag des Korridors. Im Aufenthaltsraum sitzt Großvater im Rollstuhl am Fenster. Er ist so dünn geworden. Jedes Mal, wenn sie ihn sieht, kommt es ihr vor, als wäre er wieder ein bisschen geschrumpft.
    Eine alte Frau mit typischer Oma-Dauerwelle ist in ihrem Sessel eingeschlafen. Außer ihr ist nur Großvater im Raum. Er lächelt, als er Anna-Karin sieht. Seine Augen sind wach. Er erkennt sie. Heute scheint ein guter Tag zu sein. Anna-Karins Herz schwillt an, läuft fast über. Sie gibt ihm das Kreuzworträtselheft, das sie an Leffes Kiosk für ihn gekauft hat.
    »Bekommt man heute gar keine Umarmung?«, fragt er und legt das Heft auf den Rollstuhltisch.
    »Ich bin so verschwitzt. Das magst du sicher nicht.«
    »Du spinnst, Mädchen. Komm her«, sagt Großvater.
    Früher hat Großvater nie jemanden umarmt. Aber er hat sich in so vielem verändert. Vorsichtig nimmt Anna-Karin den zerbrechlichen alten Männerkörper in den Arm.
    »Hast du heute gegessen, Großvater?«, fragt sie und lässt ihn los.
    »Ich habe keinen Hunger, wenn ich mich nicht bewegen darf. Still sitzen oder herumliegen, das ist alles, was ich tue.«
    Sofort sind die Schuldgefühle da. Sie kann sich selbst nicht verzeihen. Sie ist dafür verantwortlich, dass der Hof abgebrannt ist, dass Großvater verletzt wurde.
    »Außerdem ist es so verdammt heiß«, fügt er hinzu.
    »Aber du trinkst doch ordentlich, ja?«, fragt sie und schielt zu dem halb vollen Glas mit Apfelsaft, das auf dem Rollstuhltisch steht.
    »Ja, ja«, sagt er und wedelt abwehrend mit der Hand.
    Anna-Karin denkt, dass sie die Pfleger fragen muss, ob ihr Großvater wirklich genug trinkt. Anfang des Sommers war er so ausgetrocknet, dass sie ihn an den Tropf hängen mussten.
    »Was hast du heute gemacht?«, erkundigt sich Großvater. »Warst du im Wald?«
    »Ja«, sagt Anna-Karin und zögert.
    Jedes Mal, wenn sie ihn hier besucht, bittet er sie, ihr jedes Detail zu beschreiben, alle Gerüche, jeden Laut, jede Veränderung in der Natur. Aber sie ist sich nicht sicher, ob sie ihm erzählen soll, was sie heute gesehen hat. Sie will ihn nicht beunruhigen.
    »Spätzchen«, sagt er. »Was beschäftigt dich?«
    Sie entscheidet sich. Sie muss ihm von der angsteinflößenden Stille und dem sterbenden Wald erzählen. Denn wenn es etwas gibt, was ihren Großvater aufleben lässt, dann das Gefühl, nützlich zu sein. Gebraucht zu werden. Dass jemand hören will, was er zu sagen hat.
    Großvater verzieht keine Miene, solange Anna-Karin redet, aber sie erkennt an seiner Haltung, dass er unter Hochspannung steht.
    Als sie anfängt, von dem toten Baum zu erzählen, nimmt er ihre Hand.
    »Du hast den Weg verlassen«, sagt er. »Tu
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