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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen
Autoren: Gerd Heidenreich
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gelegen, an der Wand gegenüber lief ein großer Flachbildfernseher. Als sie nebeneinander im Erker standen, löschte sie mit einer Fernsteuerung die Zimmerbeleuchtung. Man sah den Hohenzollerndamm mit den Laternen, dahinter den dunklen Uferstreifen der Mühr. Der Fluss glitzerte im Mondlicht, wo sich in der Strömung kleine Wellen aufwarfen. »Siehst du«, sagte Liesel Ungureith, »das ist mein Blick auf die Mühle. Sie haben Licht im Parterre und Licht im ersten Stock. Da fährt ein Auto weg. Vielleicht Einbrecher?« »Dort ist nichts zu holen.« Swoboda verfolgte die Rücklichter, die sich von der Mühle wegbewegten und im Baumtunnel verschwanden. Sein Puls beschleunigte sich, er spürte, dass er in jenen Zustand geriet, den er von früher kannte: wenn er die Witterung eines Täters aufgenommen hatte und das Gewirr aus unzusammenhängenden Informationen sich langsam zu ordnen begann, wenn die Fäden ein Geflecht bildeten und das Geflecht ein Muster hervorbrachte, das Muster einen Namen erkennen ließ. Die Fantasie sprang dann auf den ganzen Körper über und versetzte ihn in Aufregung. Es war derselbe Zustand, den er als Maler kurz vor der Vollendung eines Bildes kannte. Liesel beobachtete ihn. Sie spürte, dass etwas in ihm vorging, und ihr fiel auf, dass er seit Jahren der erste Mann in ihrem Schlafzimmer war. Sie fand es angenehm, auch wenn er ihrer Freundin gehörte. »Leihst du mir deinen Wagen?« »Du hast getrunken, Alex. Du solltest dich lieber schlafen legen.«
    »Ja oder Nein.« Ihre Jacke hing über einem Stuhl, und während sie die Schlüssel aus der Tasche fischte, sah sie, dass er auf ihr Bettlaken blickte. Sie gab ihm die Schlüssel. »Nimm den BMW in der Einfahrt. Bitte vollständig zurück. Ich meine dich und den Wagen.« Sie umarmte ihn. Überrascht legte er freundschaftlich die Arme um sie. Er spürte die Glätte der warmen Seide. Liesel Ungureith gab ihn frei und schob ihn von sich weg.
    Salviati stand in der Halle der Villa. Draußen jaulten die Hunde im Zwinger. Sie wussten, dass er gekommen war, und wollten wie jede Nacht in den Park gelassen werden. Das Haus war leer. Er hatte das Gefühl, als sei es nie bewohnt gewesen. Waren sie hier zu den Prozessen der Inquisitio Haereticae Pravitatis versammelt gewesen, im Namen der göttlichen immerwährenden Jungfrau Maria? Hatten sie hier Domingo den Teufel ausgetrieben? Nur in dem großen Aquarium war noch Leben. Wie viel Hoffnung hatte dieses Haus erfüllt! Wie viel Gewissheit! Jetzt war es verlassen, der Kampf war vorüber, die schwarzen Engel Luzifers hatten über die Legio Angelorum gesiegt. Die Zeit des Armageddon war gekommen. Er öffnete die Türen des breiten Gerätesockels unter dem Aquarium und schaltete die Steueruhren und Thermostate aus, entnahm dem kühlen Futterschrank die Box mit den Borstenwürmern, griff hinein und ließ die Tiere über seine Hände kriechen. Er schloss die Dose und stellte sie zurück. Das Summen der Filter, Abschäumer und Umwälzpumpen verstummte, die Luftsprudelsäulen im Wasser vergingen.
    Aus der Kammer unter der Treppe holte er die Trittleiter, die er sonst zur Wartung des Aquariums brauchte. Bis auf eine schaltete er alle Lampen aus. Die bunte Welt verlor ihre leuchtenden Farben. Er zog seine Kutte aus, sein Hemd, sein Unterhemd. Er stieg auf die Leiter, hob die vordere Abdeckung von dem Aquarium und stellte sie an der linken Seite auf dem Boden ab. Dann entfernte er die Lampenschienen und die drei Teile des hinteren Deckels und lehnte sie an die Treppe. Von der obersten Leiterstufe lehnte er sich weit über den Edelstahlrand der dicken Frontscheibe. Langsam schob er seinen nackten rechten Arm in das Wasser. Es war angenehm warm, exakt vierundzwanzig Grad. »Verzeih mir, Petrus Venerandus.« Er beugte seinen Oberkörper über das Wasser. Seine Schulter tauchte unter die Oberfläche, er berührte das Wasser mit der rechten Seite seines Gesichts und spürte an den Fingerspitzen den weißen Sandboden der Anhöhe zwischen Korallen. Hier war das Gebiet der Schnecken. Diesmal hielt er kein langes Pfeilfanggerät mit Köder bereit. Diesmal trug er keine Handschuhe. Der Zitronen-Segelflossen-Doktorfisch flüchtete als Erster. Der Mandarinfisch und die Anemonenfische zogen sich zwischen Riffsteine zurück. Nur der Mirakelbarsch näherte sich neugierig, schwamm dann aber in einer schnellen Kurve hinter die Lederkoralle. Salviati atmete tief ein und steckte seinen Kopf mit offenen Augen ins Wasser. Er sah, dass die
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