Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte
Autoren: Gaetano Cappelli
Vom Netzwerk:
er fragt! Irgendwann bog er in eine Straße ein, an deren Ende ein rosa Haus stand. Vor dem hielt er an, und ich stieg fröhlich aus und schlug die Tür fest zu - was zu den Dingen gehört, die einem das Gefühl vermitteln, erwachsen zu sein. Doch als ich dann die Worte hörte, die der Onkel an Genuario richtete, nahm ich den grimmigen Blick dieses Unbekannten und das in der Morgenluft bläulich schimmernde Dorf hinter ihm ins Visier, und schlagartig war mir alles klar. Natürlich habe ich versucht, wieder in den Lastwagen zu klettern, aber der Pächter hielt mich am Arm fest. Dann warf ich mich auf den Boden, weinte und brüllte: » Mammiinaa , ich will zu meiner Mammiina !«, aber schon ohne rechte Überzeugung, so genau stand mir mein Schicksal vor Augen. Und doch ist da plötzlich eine Kraft, die mich nach oben zieht, und zwar so steil nach oben und in die Schwerelosigkeit, dass ich mir einbilde, die Mamma sei höchstpersönlich aus dem Paradies herabgestiegen - wo sie sich mit Sicherheit befindet -, um mich zu retten und zu sich zu holen, ihren lieben Kleinen, heraus aus diesem Jammertal.
    Die Illusion währt kaum einen Augenblick, jenen Augenblick nämlich, in dem ich mich in die Umarmung flüchte, um dann aber sofort zusammenzuzucken, als ich die ungeheuerliche Besitzerin der Arme - Vitina eben - erkenne, und beinahe wäre ich in eine noch düsterere Verzweiflung gestürzt, hätte sie nicht zu sprechen angefangen, mit dieser Stimme, die mich hypnotisiert. Wie in Trance lasse ich mich ins Haus bringen. Ich bin im dichten Netz ihrer Worte gefangen, im wirbelnden Singsang der Riesin, die inzwischen begonnen hat, mir die Geschichte von den beiden Söhnen zu erzählen,
einem braven und einem Verschwender, der viele böse Sachen macht, aber am Ende bereut, worüber sein Vater sich derart freut, dass er ein Kalb schlachtet. Als ich merke, dass Onkel Erminio weg ist, ist es schon zu spät, und es tut mir auch nicht mehr leid - vielleicht weil dieser andere Sohn, dieser Verschwender, ich sein könnte und weil Nonnilde mir dann nach meiner Rückkehr ins Dorf vergeben und ein Kalb umbringen wird, wobei mir, ehrlich gesagt, nicht ganz klar ist, warum es unbedingt getötet werden muss. Vielleicht trauere ich Onkel Erminio auch deshalb nicht nach, weil es hier auf dem Land so viele vergnügliche Dinge zu tun gibt.
    Zusammen mit Fausto laufe ich den ganzen Tag hinter der Riesennachtigall her, die das Wasser vom Brunnen holt (ich ziehe den Eimer hoch), den Gemüsegarten hackt (ich hacke auch), die Hühner füttert (auch ich gebe ihnen Futter), das Obst erntet, aus Mehl einen Teig knetet (ich knete mit) - und dies alles, ohne je aufzuhören, Geschichten über reuige Sünder und allerhand Wunder daherzuzwitschern. So bin ich am Abend, wenn ich in mein Bettchen gelegt werde - eine Art aus einem groben Holzblock gehauene Wiege, die eher an einen kleinen Sarg erinnert -, so müde, dass mir fürs Weinen die Kraft fehlt, obwohl ich einen Augenblick daran denke, dass ich das eigentlich tun müsste.
    Am nächsten Morgen fällt es mir wieder ein, und ich treffe bereits Anstalten, als sie auch schon wieder da ist, die Nachtigall. »Aufwachen, Euer Wohlgeboren!« - so nennt sie mich. Die Sonne ist kaum aufgegangen, und schon plappert sie und plappert und plappert und zieht mich aus dem Bett, und ich brauche mich nicht einmal wie zu Hause zu waschen - ein weiterer Punkt, der für das Leben auf dem Land spricht. Draußen im Gemüsegarten pinkelt der stumme Sohn gegen einen Baum, denn hier haben sie nicht einmal ein Schilderhäuschen-Klo. Ich pinkle gegen denselben Baum, als ob es nicht genug andere gäbe, atme die frische Luft ein, die nach feuchtem Gras riecht und nach … Doch, mir scheint, dass ich mich nicht geirrt habe. Aber ich habe ihn noch nicht richtig identifiziert, diesen anderen Geruch, da trillert Vitina auch schon
aus dem Stall: Euer Wohlgeboren hin, Euer Wohlgeboren her, und ich lande unter einer braunen Kuh, und mir bleibt die Spucke weg, als ich sehe, was Vitina da zwischen den Fingern hält: nicht einmal die von Tea sind so groß!
    Von da an lief ich jeden Morgen pünktlich los. Natürlich war es anstrengend - warum man diese Kühe schon in der Morgendämmerung melken musste, war mir ein weiteres Rätsel -, aber die Mühe lohnte sich, davon war ich in höchstem Maße überzeugt, wenn ich mich in der Betrachtung jener zyklopischen Euter verlor, der prächtigen Runzeln, die diese kolossalen Zitzen umgaben, und der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher