Felidae Metamorphosis (German Edition)
gewesen war, betäubt durch die Errungenschaften der Zivilisation. Sie nahm jetzt nicht nur alles viel intensiver wahr, sie erlebte es auch intensiver. Als befinde sie sich in einem Rauschzustand. Ihr Blut pochte in den Adern mit schnellem, stakkatoartigem Rhythmus. Ein wilder, tosender Strom, der alles gnadenlos mit sich riss.
Mittlerweile besaß sie genügend Übung darin, auch in Katzengestalt sie selbst zu bleiben und sich ihre Menschlichkeit zu bewahren. Das war nicht immer so gewesen, wusste sie aus den Erzählungen ihres Vaters. Dennoch – sie konnte meditieren und sich konzentrieren, soviel sie wollte, niemals würde sie die Raubkatze in sich zum Verstummen bringen.
Und das wollte sie auch nicht.
Es genügte, sie unter Kontrolle zu halten. Das war nicht immer leicht. Die Versuchung, sich von ihren Instinkten treiben zu lassen und vor allem diese reizvolle Bedenkenlosigkeit waren permanent vorhanden. Allein das Wissen, es hätte kein gutes Ende gefunden, verhinderte es, den Verlockungen nachzugeben. Leichter war es ihr mit dieser Erkenntnis allerdings auch nicht.
Ein Schrei ließ Felicia erschrocken zusammenfahren!
Es war kein sehr lauter Schrei. Eher leise und erstickt.
Und er brach mittendrin ab!
Automatisch stellten sich ihre Nackenhaare auf. Ihr Körper versteifte sich instinktiv wie ein Brett. Die Krallen wurden ausgefahren. Die Katze erwartete … sie wusste nicht, was sie erwartete. Doch sie wäre dafür gewappnet gewesen.
Felicia entkrampfte sich sofort wieder. Sie realisierte, der Schrei hatte weder ihr gegolten, noch kam er aus der Nähe.
Sie sandte ihre Sinne aus. Lauschte, schnupperte … Nichts!
Sie versuchte den Schrei zu analysieren, soweit ihr das aus dem Gedächtnis möglich war. Eindeutig stammte er von einem Menschen. Nach und nach wurde ihr klar, es musste der Betrunkene gewesen sein, dessen Schnarchen sie vernommen hatte.
Jetzt war es verklungen. Sie hörte überhaupt nichts mehr von ihm. Auch keine Schritte, die darauf schließen ließen, er hatte seinen Rausch ausgeschlafen und trottete nun nach Hause oder in die nächste Bar.
Ihr Körper war noch immer angespannt. Sie war wie ein Pfeil, der von der Sehne gelassen werden wollte. Sie wollte ihre Ungewissheit stillen und sich vergewissern, was die Beschaulichkeit der Nacht gestört hatte.
Mit einem Kopfschütteln, nur für sich allein, verbot sie es sich. Sie durfte sich nicht hinreißen lassen, sosehr die Katze auch danach drängte. Nicht lange nachdenken und zaudern, sondern spontan Entscheidungen treffen und handeln.
Das war nicht möglich. Sie durfte das weiträumige, umzäunte Gelände des Anwesens nicht verlassen. Jedenfalls nicht, solange sie sich in der Umgebung nicht auskannte, solange die Gefahr bestand, beobachtet zu werden. Das bedeutete, vorsichtshalber einen weiten Bogen um Straßen, Wege und Häuser zu machen.
Und auch das fiel ihr nicht leicht.
***
„Ich bin Ihnen einen Gegenbesuch schuldig“, meinte Felicia, als sie vor Frank Langs Schreibtisch stand.
Überrascht sah er hoch und machte große Augen, als sei ihm ein Geist begegnet. In seinen Gedanken schien er sich noch immer in dem Buch zu befinden, das er aufgeschlagen vor sich liegen hatte. Er brauchte ein, zwei Sekunden, um in die Realität zurückzukehren. Dann realisierte er, wer vor ihm stand, und seine Miene klärte sich abrupt auf. Ein Lachen erschien darin, die Augen leuchteten.
„Das ist eine Überraschung!“ Er erhob sich von seinem alten, knarrenden Bürostuhl. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, Felicia jemals wieder zu sehen. Und erst recht nicht hier.
„Ich muss mich doch revanchieren.“ Insgeheim amüsierte sie sich köstlich, ihn derart verlegen zu sehen. Das machte ihn zusätzlich sympathisch. Auch als er sich ziemlich ratlos über das, was er tun sollte, auf die Oberschenkel schlug.
„Das hier ist mein Reich“, meinte er. Die Worte wirkten unbeholfen. Doch es waren genau die, die Felicia erwartet hatte.
Anfangs hatte sie die Bibliothek gar nicht gefunden. Sie war davon ausgegangen, es handele sich um ein kleines, separates Gebäude oder um eine Etage innerhalb der Stadtverwaltung. In gewisser Hinsicht traf das auch zu, wenngleich äußerst großzügig ausgelegt: Es handelte sich um den Keller, ziemlich düster, ziemlich muffig.
Nicht unbedingt das Ambiente, das sie erwartet hatte. Vielleicht war sie durch das Leben in der Großstadt auch einfach nur verwöhnt worden.
„Ziemlich bescheiden, nicht wahr?“ Es
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