Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
Autoren: Akif Pirinçci
Vom Netzwerk:
hatte. Die Kerzen drückten dem eigentümlichen Ort
optisch ihren Stempel auf. Das zerlaufene Wachs überzog jeden Winkel gleich
einer Schneeschicht, darüber hinaus verlieh es dem beckenartigen Gewölbe, das
praktisch wie eine überdimensionale Luftblase unter der Erde geformt war, etwas
von einer Tropfsteinhöhle. Soweit das Auge reichte, hatten sich Generationen
von abgebrannten Kerzen zu Stalagmitensäulen vereint, waren beim Zerfließen zu
Wirbeln und Strudeln gefroren, zu Standbildern von Brandungen geworden. Aus
diesem höckerigen, krummnäsigen und sich besinnungslos überklumpenden
Wachs-Interieur ragten kleine Stapel zerfledderter, alter Bücher empor wie
pittoreske Burgen inmitten einer Winterlandschaft. Auch auf dem Boden lagen
viele, meist mit Ledereinbänden versehene und von Ratten zernagte Bücher.
Irgendwo hinten schien ein Gang ins Nirgendwo zu führen.
    Ich war ehrlich überrascht. Aber das ist man ja oft in
diesem Alter.
    »He, Dude, mach ma noch 'n paar von den abgefuckten
Stangen an«, sagte ein hoffnungslos verwuselter, verfilzter Kerl, der sich über
mich beugte und in seiner konfusen, schmutzigen Erscheinung seine wenigen
Siam-Gene nur erahnen ließ. »Hab das komische Gefühl, daß schon wieder ein
neuer Dude zu uns gestoßen ist. Will ihn mir mal näher angucken.«
    »Geht klar, Dude, mach alles, was du sagst, Dude, schmeiß
sofort noch 'n paar mehr Kohlen in den Ofen«, hörte ich eine krächzende Stimme
aus dem Hintergrund. »Fragt sich nur, ob der Saftladen uns nicht bald um die
Ohren fliegt, wenn immer mehr Dudes zu uns runterfallen.«
    Der Artgenosse über mir, der mit seinen türkisblauen
Glubschern direkt in die meinigen glotzte, zog eine leicht verärgerte Miene.
Wenn mich nicht alles täuschte, baumelten von seinen rechten Schnurrhaaren
Spinnweben herunter, an den linken krochen irgendwelche Insekten herum. An
seinem struppigen graubeigen Fell hätte sich selbst der lockerste Kamm die
Zähne ausgebissen. Kurz, mein Entdecker sah so aus, als sei er soeben einer
Mülltonne entstiegen, wenn diese verwahrloste Unterwelt nicht eh schon an sich
eine Mülltonne in King-Size-Format war.
    »Vom Himmel hoch, da kommst du her, muß dir sagen, durch
dich haben wir 'n Maul zu stopfen mehr«, sagte der Wuseltroll, stöhnte und ließ
eine Stinkwolke der Extraklasse zu mir herüberwehen.
    »Ich muß den kompletten Marcel Proust lesen«, stammelte
ich. Ich stand noch völlig unter Schock. »Außerdem sind eben meine Mutter und
alle meine Geschwister getötet worden.«
    »Das mit deiner Familie tut mir echt leid, Dude. Aber wie
Buddha schon sagt: Bist du erst mal tot, kannst du dich wieder auf die
wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren. Der olle Proust ist übrigens nicht
schlecht, aber ich finde, der Typ wird total überschätzt. Versuchs mal mit
Charles Bukowski. Der Dude zieht einem echt die Schuhe aus. Doch in deinem
erbärmlichen Zustand und dem Kratzer am Schädel solltest du erst mal das hier
probieren. Hilft auch beim Abschütteln der bad vibrations.«
    Damit steckte er den Kopf blitzschnell nach unten und kam
mit einem Blumenstrauß zwischen den Zähnen wieder hoch. Aber nein, es war gar
kein Blumenstrauß, sondern ein Strauß ohne Blumen. Doch auch das stimmte beim
näheren Hinsehen nicht. Eigentlich handelte es sich um ein paar Stengel mit ein
paar Blättern und blauen Blüten dran.
    »Jesus, ist das ein geiler Stoff!« frohlockte der
Wuseltroll und ließ die Pflanze vor meine Nase fallen. Verdutzt und irgendwie
auch handlungsunfähig schaute ich ganz kurz an dem komischen Vogel vorbei. Und
staunte nicht schlecht. Etwa zwanzig »Dudes« lümmelten sich auf Höckern und in
Tälern aus weißem Wachs, angestrahlt vom Licht der vielen brennenden Kerzen.
Sie alle ähnelten meinem Gegenüber. Das Wort Rassenmix umschrieb nur annähernd
ihre Abstammung. Es war so, als hätte man sämtliche Rassemerkmale meiner
Gattung in einen Topf hineingeworfen, kräftig umgerührt und dann mit jeder
Kelle, die auf dem Teller landete, eine völlig neue Kreation geformt. Es gab
die kuriosesten Mischungen: dicke Scottish-Fold-Brüder mit den typischen, wie
eine Kappe auf ihrem Kopf sitzenden Faltohren und dem mißmutigen
Gesichtsausdruck, die jedoch ein braun-grünlich gesprenkeltes Schildpatt-Fell
und einen langen dünnen Schwanz besaßen. Schwanzlose Manx-Damen mit dem
Körperbau einer Orientalisch Kurzhaar, langgezogen wie ein Gummiband und
glänzend wie Samt. Mein Gott, wer hatte bloß diese unmöglichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher