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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone
Autoren: Anne Perry
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stimmt«, gab ihm Narraway Recht. »Aber Sie werden nicht fahren.«
    »Natürlich fahre ich.« Sie kannten einander erst seit wenigen Monaten und hatten in sehr loser Zusammenarbeit nur einen einzigen Fall gemeinsam bearbeitet. Ihr Verhältnis war nicht mit der schon lange bestehenden Beziehung zwischen
Pitt und Cornwallis vergleichbar, den Pitt sehr schätzte und dem er weit mehr getraut hätte als jedem anderen. Nach wie vor wusste er nicht recht, wie er Narraway einschätzen sollte, und auf keinen Fall traute er ihm, trotz der Art, wie er sich im Fall der Verschwörung von Whitechapel verhalten hatte. Auch wenn er überzeugt war, dass Narraway seinem Land diente und sich für einen Ehrenmann hielt, wusste Pitt nicht so recht, welche Vorstellungen Narraway damit verband. Vor allem aber bestand zwischen ihnen keinerlei freundschaftliche Beziehung.
    Narraway seufzte. »Setzen Sie sich bitte, Pitt. Ich kann mir denken, dass Sie bereit sind, mir moralisch einzuheizen, aber tun Sie mir wenigstens den Gefallen, mir dabei nicht auch noch Unbequemlichkeiten zu bereiten. Ich mag es nicht, wenn ich den Kopf recken muss, um Sie ansehen zu können.«
    »Ich fahre heute nach Dartmoor«, wiederholte Pitt, nahm aber in dem anderen Sessel Platz.
    »Heute haben wir den 18. Juni. Am 28. endet die Sitzungsperiode, und das Unterhaus löst sich auf«, sagte Narraway lustlos, als gehe es dabei um eine betrübliche und unbeschreiblich erschöpfende Angelegenheit. »Sofort im Anschluss daran findet die Unterhauswahl statt. Ich denke, die ersten Ergebnisse werden am vierten oder fünften Juli vorliegen.«
    »Dann lass ich diesmal meine Stimme eben verfallen«, gab Pitt zur Antwort, »denn um die Zeit bin ich nicht zu Hause. Vermutlich macht es ohnehin nicht den geringsten Unterschied.«
    Narraway sah ihn unverwandt an. »Ist Ihr Wahlkreis so korrupt?«
    Leicht verwundert antwortete Pitt: »Das glaube ich nicht, aber er ist seit Jahren in den Händen der Liberalen, und die allgemeine Ansicht scheint zu sein, dass Gladstone siegen wird, wenn auch nur mit einer knappen Mehrheit. Sie haben mich bestimmt nicht drei Wochen vor meinem Dienstantritt hergebeten, um mir lediglich das mitzuteilen!«
    »Eigentlich nicht.«
    »Gut, dann …« Pitt machte Anstalten aufzustehen.
    »Bleiben Sie sitzen!«, gebot ihm Narraway mit unterdrücktem Zorn. Seine Stimme klang scharf und bissig.
    Eher vor Überraschung als aus Gehorsam ließ sich Pitt wieder in den Sessel sinken.
    »Sie haben sich im Fall Whitechapel bewährt«, sagte Narraway mit ruhiger, gelassener Stimme, wobei er sich wieder zurücklehnte und die Beine übereinander schlug. »Sie sind nicht nur mutig, sondern besitzen auch Vorstellungskraft, Initiative und einen eindrucksvollen Moralbegriff. Sie haben die Männer des Inneren Kreises vor Gericht besiegt, obwohl Sie sich das vermutlich zweimal überlegt hätten, wenn Ihnen klar gewesen wäre, mit wem Sie es da zu tun hatten. Sie sind ein guter Kriminalist, der beste, den ich habe. Die meisten meiner Männer verstehen eher etwas von Sprengstoff und Mordanschlägen. Es war schon eindrucksvoll, dass es Ihnen gelungen ist, Voisey eine Niederlage zuzufügen! Wie Sie dann aber auch noch den Mordvorwurf so auf den Kopf stellten, dass er als Retter des Thrones in den Adelsstand erhoben wurde, war einfach brillant. Es war die vollkommene Rache. Die anderen Republikaner betrachten ihn seither als Erzverräter an der Sache.« Der kaum wahrnehmbare Anflug eines Lächelns trat auf Narraways Lippen. »Sie hatten ihn als künftigen Präsidenten vorgesehen. Jetzt würden sie ihm nicht einmal erlauben, Briefmarken anzulecken.«
    Zwar klang das wie ein überschwängliches Lob, doch hatte Pitt, während er seinen künftigen Vorgesetzten ansah, das Gefühl, dass ihm Gefahr drohte.
    »Er wird Ihnen das nie verzeihen«, fügte Narraway so beiläufig hinzu, als sage er ihm die Uhrzeit.
    Pitts Kehle zog sich zusammen, und so krächzte seine Stimme, als er antwortete: »Das ist mir klar. Etwas anderes hätte ich auch nicht angenommen. Als der Fall abgeschlossen war, sagten Sie aber auch, dass es dabei nicht um etwas so Primitives wie Gewalttätigkeit gehen würde.« Seine Hände fühlten sich steif an, und es überlief ihn kalt, nicht aus Angst um sich selbst, sondern um Charlotte und die Kinder.
    »Bestimmt nicht«, sagte Narraway freundlich. Einen Augenblick lang legte sich ein weicher Zug auf sein Gesicht, der sogleich wieder verschwand. »Aber er hat sich Ihren
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