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Feind

Feind

Titel: Feind
Autoren: Robert Corvus
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fühlte sich an, als bewegte er ihn durch glühende Kohlen.
Etwa so wie damals, als der Pfeil durch seine Brust gedrungen war. Aber er
kämpfte den Schmerz nieder. Nichts war wichtig außer seinem Mondsilberschwert
und jenen, die er damit niederstrecken musste. Vielleicht widersetzte sich das
geheiligte Metall dem Zauber, ermöglichte so seine Bewegung.
    In ihrer bizarren Langsamkeit erreichte die Schneide, die ein immer
intensiveres Rot annahm, bis sie wie frisches Blut leuchtete, den dünnen Hals
des Ghouls.
    Und die Zeit sprengte ihre Fesseln.
    Die Waffe trennte den Kopf von den Schultern. Mit seinem ausladenden
Kiefer war er monströs wie der jedes Ghouls, aber das brünette Haar ließ etwas
von der Schönheit erahnen, die die Frau besessen hatte, bevor sie dem Fluch zum
Opfer gefallen war. Schwarz und dickflüssig quoll Blut aus dem Hals, während
Kopf und Körper getrennt zu Boden fielen.
    Jetzt, wo Bewegung und Schwerkraft wieder so wirkten, wie die Götter
es vorgesehen hatten, strauchelte Helion. Er stürzte neben die goldene
Schüssel, in der Liólas Herz zuckte.
    Während er sich in die Höhe stemmte, fielen alle anderen auf die
Knie. Es schien etwas mit Lisannes Charisma zu tun zu haben, dem sich nur die
Osadroi widersetzen konnten. Die Osadroi und Helion. Knurrend kam er auf die
Füße, schloss die Faust fest um den Griff des Mondsilberschwerts.
    Elien Vitan erhob sich. Er sah ungehalten aus. »Mach dieser Scharade
ein Ende, Lisanne!«
    Die Schattenherzogin kippte den Kopf ein wenig zur Seite. »Er ist …«
Sie wich zurück. »… besonders.«
    Noch immer spürte er die kalten Finger ihres Geistes durch seine
Brust tasten, ohne dass sie Halt gefunden hätten. Er fühlte das wölfische
Grinsen auf seinem Gesicht, als er ihr mit festen Schritten nachsetzte. »Ihr
seid nicht unsterblich, Lisanne! Dies ist die Nacht, in der ich Euren Tod
fordere!«
    Sie schien keine Angst vor ihm zu haben. Ihr Blick kündete von
Faszination, nicht von Furcht.
    Er nahm das Mondsilberschwert weit zurück, holte zum Hieb aus.
    Da fiel sein Blick auf Lióla, die so hastig zu ihrem Schattenkönig
eilte, dass sie auf den Saum ihres Kleides trat, sich dabei aber nicht von ihm,
Helion, abwenden konnte. Über ihrem Oberkörper war der Stoff noch immer
geöffnet. Die Wunde, durch die Lisanne gegriffen hatte, schloss sich bereits.
Kein Blut floss nach, das Fleisch wuchs zusammen, würde aber wohl die Narbe
hinterlassen, von der man sagte, dass sie jeden Osadro mit Ausnahme der
Schattenkönige daran erinnerte, wem seine Treue zu gelten hatte. Doch diese
Verletzung war nicht, was Helion erschütterte.
    Es war ihr Gesicht. Milchweiß, umrahmt von schwarzem Haar, wie ein
toter Rabe, auf dessen Gefieder Schnee gefallen war. Und doch waren die Züge
ihr, Ajina, so erstaunlich ähnlich, dass Helion nicht begriff, wie er sie am
Morgen nicht hatte erkennen können. Die Form der Augen, die Linie der Wangen,
das Kinn, sogar die Lippen, wenn sie auch farblos waren, wo Ajinas in kräftigem
Rot geleuchtet hatten. Lióla sah so aus wie ihre Schwester, verborgen hinter
einer Wand aus Nebel.
    Wie Ajina im Nebelland.
    Wie Helions Liebe, von der er selbst auf der Schwelle des Todes
nicht hatte lassen können. Vielleicht hätte er ihr ins Nebelland folgen sollen.
Dorthin, wohin Lisanne sie verstoßen hatte, in jener Auseinandersetzung mit
Modranel in dem eingestürzten Gang in Guardaja. Als sie ihm seine Liebe
entrissen hatte, viel zu früh. Gerade einmal zwanzig Jahre war sie gewesen, so
voller Leben, dass es aus ihr herausgestrahlt war, wenn sie sich als Heilerin
jedem angenommen hatte, der ihre Hilfe gesucht hatte.
    Und Lisanne hatte sie getötet.
    Er hasste sie. Heiß wie glutflüssiger
Stahl kochte dieses Gefühl in ihm hoch. Ein roter Schleier legte sich vor seine
Augen.
    Und Lisannes eisige Hand griff um sein Herz.
    Er spürte, wie sie nach seiner Lebenskraft rief, und er konnte sie
nicht zurückhalten. Sie strömte aus ihm heraus wie Wein aus einem
aufgeschnittenen Schlauch. Er brach neben dem toten Ghoul in die Knie, als habe
jemand die Sehnen in seinen Fersen durchtrennt.
    Nein!
    Das durfte nicht sein!
    Er war seinem Ziel so nah!
    Er spürte Treatons Blick auf sich, auch den Derias. Die Wünsche der
Sterbenden! Er musste sie erfüllen.
    Aber das konnte er nicht.
    Er war besiegt, und Lisanne war zu klug, als dass sie sich ihm
genähert hätte, solange er noch die Kraft hatte, das Schwert zu führen.
Verträumt lächelnd sah sie zu, wie er
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