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Feind

Feind

Titel: Feind
Autoren: Robert Corvus
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prickelnde
Gefühl, wenn die Essenz durch ihren Körper strömte.
    Aber das war nichts verglichen mit dem, was sie nun spürte. Sie
lachte, weil sie sich an die Bedenken erinnerte, sie könne in den kommenden
Nächten das Essen vermissen. Wie albern! Wie kindisch!
    Überhaupt, kindisch! Das war ihr gesamtes bisheriges Leben gewesen.
Jetzt endlich öffnete sich ihr Verstand. Sie verstand die Magie, die sie umgab, das Gitter, das sich nun auflud. In der stofflichen
Welt schienen sich die Zauberzeichen aus der Asche zu erheben, schienen ein
Eigenleben zu führen wie sich windende Schlangen. Doch mit ihrem neuen Sinn begriff Lióla, dass das Gegenteil richtig war. Sie
glätteten sich, richteten sich exakt an dem magischen Gitter aus, das sich
allerdings bewegte, vom Mondlicht in Unordnung gehalten wurde, vor allem vom
blauen Leuchten Vejatas. So klein er auch war, stand seine die Magie dämpfende
Kraft jener seiner Geschwister in nichts nach. Aber am Verlauf dieser Nacht
würde sie nichts ändern. Lióla mochte das Geräusch ihres eigenen
triumphierenden Lachens, also lachte sie lauter, berauschte sich an der Essenz,
die immer stärker floss. Die ersten Kinder starben. Ihre Adern wurden mit
scharfen Klingen geöffnet, das Blut in die Zauberzeichen an den Felsen
gegossen, solange es noch warm war. Das magische Gitter stabilisierte sich
weiter. »Komm zu uns, Lióla!«, rief die Schattenherzogin.
    Lióla erschrak. Etwas schien nicht zu stimmen.
    Lisanne hielt inne. Mit gerunzelter Stirn sah sie zu dem Baum mit
den vielen Gesichtern.
    Schweiß brach Lióla aus allen Poren. Hatten der Nachtsucher und sein
Seelenbrecher versagt? Hatten sie das Problem nicht lösen, die Störung nicht
umgehen können? Wie groß war die Unordnung? Gefährdete sie etwa – nicht
auszudenken – die Umwandlung?
    Der Moment des Schreckens ging vorbei. Lisanne sah wieder Lióla an
und fuhr fort, als sei nichts geschehen. Im Kreis schien niemand die
Unsicherheit bemerkt zu haben.
    Der Ruf in die Schatten war zunächst nur ein Flüstern, aber ein
unwiderstehliches. Lióla sah nichts mehr außer Lisannes Iriden. Sie waren
graublau, begannen sich zu drehen, leuchteten, was die Schwärze der Pupillen
nur verstärkte. Lióla schien auf diese Augen zuzutreiben, obwohl sie sich nicht
von der Stelle bewegte, schwebte in die Dunkelheit, in die Finsternis. Willig
ließ sie zurück, was sterblich an ihr war. Die Zeit endete.
    Aber Zeit musste vergangen sein, stellte sie fest, als sie wieder zu
denken begann. Wenigstens eine Stunde, so weit waren die Fackeln
heruntergebrannt. Die nackte Priesterin war fortgeschafft worden, nur kleine
Blutlachen erinnerten noch an sie.
    Mein Herz schlägt nicht, erkannte Lióla.
Sie lächelte, konzentrierte sich darauf, das Atmen zu beenden. Es fiel ihr
leicht.
    Aber dann atmete sie doch. Lisanne dirigierte Essenz zu ihr. Nicht
in einer magischen Wirklichkeit, sondern in der greifbaren Welt, wo sie sich
als dunkel brodelnder Schaum zeigte. Lióla nahm einen tiefen Zug.
    Ächzend legte sie den Kopf in den Nacken und sah zu der Dunkelheit
zwischen den Sternen auf. Sie spürte dem Genuss nach, dem Prickeln, das sich in
ihrer Brust ausbreitete, von dort aus durch ihren Körper wanderte, bis hinein
in die Finger, sogar in die …
    Sie sah auf ihre Hände. Ja, ihr waren Krallen gewachsen! Nicht so
lang wie Lisannes, nicht so elegant, aber hart und spitz. Fasziniert
betrachtete sie die Waffen ihres neuen, ihres unsterblichen Körpers.
    »Ich fordere das Herz dieser Osadra für mich.«
    Es war das erste Mal, dass Lióla die Stimme des SCHATTENKÖNIGS hörte. Ihr Gesicht ruckte zu IHM und ihr Herz tat einen furchtsamen Schlag, als
erinnere es sich an ihr Leben. Sie hatte … Angst. Selbst als Osadra noch!
    Lisanne lächelte sie an. Sie war noch immer schön, das schönste
Wesen, das Lióla jemals gesehen hatte, umso mehr, als ihre neuen Sinne sie
besser erfassen konnten als die kümmerlichen Augen eines Menschen. Aber die
unbarmherzige Faszination, die sie als Sterbliche stets in die Knie gezwungen
hatte, war gewichen. Das machte ihr Mut.
    Die Schattenherzogin deutete auf den Opferblock. »Es ist SEIN Recht.«

    In seinem Versteck im Baum wartete Helion auf einen Moment, in
dem Lisanne Schwäche zeigte. Er hatte Winena erkannt, sah aber keine
Möglichkeit, ihr das Leben zu retten. Er musste die Schuld an ihr anders
abtragen. Nicht durch Leben, sondern durch Tod. Den Tod der Schattenherzogin.
Als Winenas Organe entnommen wurden und sie
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