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Feenzorn

Feenzorn

Titel: Feenzorn
Autoren: Jim Butcher
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gehört, Mister Dresden. Etwa darüber, jemandem in die Augen zu sehen.«
    Ich legte den Kopf schief. »Das würde ich nicht unbedingt eine Fähigkeit nennen. Es passiert einfach.«
    »Sie sind doch in der Lage, in die Menschen hineinzusehen? Sie nennen das, glaube ich, den Seelenblick.«
    Während ich vorsichtig nickte, zählte ich eins und eins zusammen. »Ja.«
    »Können Sie nicht auf diese Weise deren wahre Natur erkennen und die Wahrheit über den Menschen herausfinden, den Sie vor sich haben?«
    »Und sie können umgekehrt auch in mich hineinschauen.«
    »Ja.«
    Kühl und reizend lächelte sie. »Dann wollen wir einander betrachten. Sie und ich. Denn dann werde ich wissen, ob Sie mir von Nutzen sein können. Das wird mich bestimmt nichts kosten.«
    »Da wäre ich nicht so sicher. So etwas vergisst man nicht.«
    Genau wie eine Blinddarmnarbe oder eine Glatze. Wenn man jemandem in die Seele blickt, dann vergisst man es nie wieder. Mir gefiel die Richtung nicht, in die sich das Gespräch entwickelte. »Ich halte das für keine gute Idee.«
    »Warum denn nicht?«, drängte sie. »Es dauert doch nicht lange, nicht wahr, Mister Dresden?«
    »Das ist nicht der springende Punkt.«
    Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Ich verstehe. Wenn Sie mich dann entschuldigen wollen…« Dieses Mal unterbrach ich sie. »Miss Sommerset, ich glaube, Ihnen ist bei Ihrer Einschätzung ein Fehler unterlaufen.« Ihre Augen blitzten, und einen Moment lang flackerte Zorn darin auf, kühl und in weiter Ferne. »Ach?«
    Ich nickte, öffnete die Schreibtischschublade und nahm einen Block heraus. »Ja. Ich habe in der letzten Zeit einiges durchgemacht.«
    »Sie glauben gar nicht, wie wenig mich das interessiert.«
    Ich holte einen Stift hervor, nahm die Kappe ab und legte ihn neben den Block. »Hm. Trotzdem sind Sie hergekommen. Reich, wundervoll – viel zu schön, um wahr zu sein.«
    »Und?«, wollte sie wissen.
    »Zu schön, um wahr zu sein«, wiederholte ich. Damit zog ich den .44er Revolver aus der Schublade, richtete ihn auf sie und spannte den Schlagbolzen. »Sie können mich meinetwegen für verrückt halten, aber in der letzten Zeit muss ich immer wieder denken, dass etwas, das zu gut ist, um wahr zu sein, vermutlich tatsächlich nicht in Ordnung ist. Legen Sie bitte die Hände auf den Schreibtisch.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch und riss die wundervollen Augen weit auf. Dann schluckte sie, gehorchte und legte die Hände auf den Schreibtisch. »Was soll das?«, fragte sie.
    »Ich überprüfe eine Theorie«, sagte ich. Während ich die Augen und die Waffe auf sie gerichtet hielt, öffnete ich eine weitere Schublade. »In der letzten Zeit hatte ich einige unangenehme Besucher. Deshalb dachte ich darüber nach, mit welchen Schwierigkeiten ich rechnen könnte. Ich glaube, ich habe Sie jetzt richtig eingeordnet.«
    »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, aber ich bin sicher…«
    »Sparen Sie sich die Mühe.« Ich kramte in der Schublade herum und fand endlich, was ich brauchte. Gleich darauf holte ich einen einfachen alten Nagel aus der Schublade und legte ihn auf den Tisch.
    »Was ist das?«, flüsterte sie.
    »Ein Lackmustest«, erklärte ich ihr.
    Dann stieß ich den Nagel sachte mit einem Finger an, bis er über den Schreibtisch zu ihren perfekt manikürten Händen rollte.
    Sie regte sich erst einen Sekundenbruchteil, bevor der Nagel sie berührte – aber dann sprang sie abrupt auf, warf den Stuhl um und wich zwei Schritte von meinem Schreibtisch zurück. Der Nagel rollte über die Kante und fiel klingelnd zu Boden.
    »Eisen«, sagte ich. »Kaltes Eisen. Feen mögen es nicht.«
    Ihre Miene veränderte sich schlagartig. Gerade noch war sie voller Überheblichkeit, Dünkel und hoheitsvoller Herablassung gewesen, völlig selbstbeherrscht. All das war auf einmal verschwunden. Jetzt war ihr Gesicht kalt und hübsch, aber bar jeglicher Emotion und auch bar jeglicher Menschlichkeit.
    »Das Abkommen mit meiner Patentante bleibt noch mehrere Monate in Kraft«, sagte ich. »Für ein Jahr und einen Tag muss sie mich in Ruhe lassen. So lautete die Abmachung. Wenn sie zu Tricks greift, werde ich ziemlich ungehalten.«
    Die Frau beobachtete mich noch eine kleine Weile mit diesem leeren, stummen Ausdruck. Es war beunruhigend, ein so schönes Gesicht zu sehen, das auf einmal so fremdartig wirkte, als hätte hinter diesen Zügen die ganze Zeit etwas gelauert, das mit mir nicht viel zu tun hatte und dem es herzlich
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