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Fatal - Roman

Titel: Fatal - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Einkaufstasche von der Fensterbank. »Will, erzähl der Mama, wie großartig du geschwommen bist - ohne Schwimmflügel!«
    Will zog einen Schmollmund. Ein abrupter Stimmungswechsel, typisch für Kleinkinder und Manisch-Depressive.
    Connie machte den Reißverschluss ihres Mantels zu. »Und danach haben wir gemalt. Stimmt’s? Du hast mir verraten, dass die Mama Pferde mag.«
    »Ich hab’s gemalt. Ganz allein«, sagte Will gekränkt.
    »Mir gefällt mein Bild sehr gut, mein Großer.« Ellen hoffte, ihn beruhigen zu können. Sie verstand seine üble Laune. Er war einfach müde. Außerdem wurde Dreijährigen heutzutage eine Menge abverlangt. »Er hat wohl keinen Mittagsschlaf gemacht«, sagte sie zu Connie.
    »Ich habe ihn hingelegt, aber er wollte nicht schlafen.«
    »Schade.« Ellen verbarg ihre Enttäuschung. Wenn er mittags nicht geschlafen hatte, war mit Will gegen Abend nichts mehr anzufangen.
    Connie beugte sich zu ihm hinab: »See you later …«
    »Alligator« hätte Will jetzt sagen sollen. Das tat er aber nicht. Stattdessen schmollte er weiter.
    »Willst du mir nicht auf Wiedersehen sagen?«, fragte Connie.
    Will schüttelte den Kopf und sah weg. Seine Arme hingen schlaff herunter. Mit einem Buch würde es heute Abend nichts werden, dabei las Ellen ihm so gern vor. Ihre Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie erfahren würde, dass Will ohne Gutenachtgeschichte schlafen ging.

    »Also dann, bye-bye«, sagte Connie, aber Will antwortete nicht. Er blickte zu Boden. Das Kindermädchen fasste ihn am Arm. »Will, ich habe dich sehr gern.«
    Ellen war plötzlich ein bisschen eifersüchtig auf Connie, was natürlich vollkommen unsinnig war. »Nochmals vielen Dank«, sagte sie. Connie ging, und ein Schwall eiskalter Luft wehte herein. Ellen machte die Tür zu und schloss ab.
    »ICH HAB’S GEMALT!« Will brach in Tränen aus, und die Zeichnung flatterte auf den Holzboden.
    »Komm, wir essen was.«
    »Ganz allein!«
    »Komm her, mein Großer.« Ellen griff nach ihm, stieß dabei gegen den Poststapel, und die Tüte mit dem chinesischen Essen fiel vom Tisch. Das Essen darin konnte sie gerade noch retten, aber die Post lag auf dem Fußboden. Wieder fiel ihr Blick auf den Flyer mit dem Foto des vermissten Jungen.
    Unheimlich, geradezu.
    Sie nahm die Essenstüte und ging in die Küche. Die Post ließ sie auf dem Fußboden liegen.
    Vorerst.

2
    Ellen brachte Will zu Bett und füllte die Waschmaschine mit einer Ladung Wäsche. Sie setzte sich an den Tisch ihres Esszimmers, an dessen anderem Ende sich der Kater schon niedergelassen hatte. Seine bernsteinfarbenen
Augen starrten auf Ellens Abendessen, während sein Schwanz seinen pummeligen Körper erwartungsvoll umspielte. Sein Fell war pechschwarz, mit Ausnahme eines weißen Streifens mitten im Gesicht und der weißen Pfoten, die aussahen wie aufgemalte Handschuhe. Man hätte ihn mit dem Figaro aus Walt Disneys Pinocchio verwechseln können, und genau deshalb hatte Will ihn ausgewählt. Da sich Mutter und Sohn nicht auf einen Namen hatten einigen können, Figaro oder Oreo, hörte er jetzt auf den Namen Oreo Figaro.
    Ellen nahm sich Hühnchen-Curry und Reis. Hinter dem erleuchteten Fenster ihrer Nachbarn, den Coffmans, mit denen sie sich die Garagenzufahrt teilte, saßen die zwei Jungen am Esszimmertisch und machten Hausaufgaben. Beide waren groß gewachsen, kräftig und begeisterte Lacrosse-Spieler. Ob Will an der Highschool auch sportlich sein würde? Es gab einmal eine Zeit, da hatte ihn sich Ellen nicht gesund vorstellen können, geschweige denn mit einem Lacrosse-Schläger in der Hand.
    Sie aß ein bisschen von dem Huhn mit der gelben Currysoße, die noch warm war - genau richtig. Sie ging die Post durch, sortierte die Rechnungen aus und legte sie beiseite, denn das Monatsende war noch fern. Dann aß sie noch ein bisschen und blätterte in Gedanken schon den Tiffany-Katalog durch, als ihr Blick wieder auf den Flyer fiel. HABEN SIE DIESES KIND GESEHEN? Der Aufruf stammte von der amerikanischen Gesellschaft für vermisste und entführte Kinder.
    Ellen aß nicht weiter. Immer wieder musste sie das Foto des vermissten Jungen ansehen. Diesmal konnte sie nicht der Beleuchtung die Schuld geben. Im hellen Licht der
Esszimmerlampe sah der Junge auf dem Foto Will noch ähnlicher. Es war ein Schwarz-Weiß-Foto. So konnte sie nicht sagen, ob beide die gleiche Augenfarbe hatten. Sie las die Bildunterschrift.
    Name: Timothy Braverman
    Wohnort: Miami, Florida
    Geburtsdatum: 19. 1.
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