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Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen

Titel: Familienscheiße: Wir hassen sie, wir lieben sie - Geschichten über die, die uns am nächsten stehen
Autoren: Henriette Frädrich
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das Gespräch darüber dann auch beendet. Ich fühlte mich allein gelassen. Und manchmal frage ich mich, ob ich ihnen wirklich den Gefallen tun soll, dass ich wieder gesund werde. Denn dann hätten sie wieder ihre Ruhe und müssten sich nicht mit meinen Problemen auseinander setzen.  

Bitte nicht FKK!
    Die Schamhafte
    Marie, 28, Designerin
     
    Ich komme aus der ehemaligen DDR. Es gibt viele Klischees über die DDR und die Ossis an sich. Und doch, die meisten stimmen. Irgendwie. Ich kann zum Beispiel nicht widerlegen, dass die Sache mit dem „Die Ossis sind so freizügig, die machen immer FKK“ nicht stimmt. Denn ich komme aus so einer Nackedei-Familie. Und was soll ich sagen, ich habe es gehasst. Abgrundtief.
    Schon als Vierjährige hatte ich ein ausgeprägtes Schamgefühl. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir je etwas komisches passiert war oder dass jemand jemals etwas komisches über mich als Nackedei gesagt hat. Nein, ganz im Gegenteil, die Nacktheit war ja ganz normal bei uns. Und dennoch schämte ich mich. Ich hatte kein Problem damit, mit nur einem kleinen Badehöschen rumzulaufen. Da war die Welt für mich in Ordnung. Aber sobald ich diesen kleinen Stoff-Fetzen ausziehen sollte, fühlte ich mich absolut unbehaglich. Wenn ich meinem Unmut Ausdruck verlieh, lachte mich meine Mutter nur aus: „Jetzt stell dich nicht so an, du hast doch noch gar nichts, was man dir abgucken kann!“. Ich konnte ihr einfach nicht erklären, warum ich mich so schrecklich unwohl nackt fühlte. Ich wusste es ja selbst nicht mal. Andere Kinder spielten auch völlig befreit nackig am Sandstrand, und es war absolut nichts dabei. Aber ich konnte das nicht. Ich druckste nur rum. Hatte aber nicht die Power, mich meiner Mutter zu widersetzen. Mich zu wehren oder nein zu sagen, oder durchzusetzen, dass ich wenigstens mein Höschen anbehalten konnte, schaffte ich nicht.
    Wenn ich mit meiner Mutter Urlaub am Strand machte, betete ich, dass wir dorthin gehen würden, wo die Leute Badesachen trugen. Aber nein, meine Mutter, der olle Hippie, steuerte schnurstracks auf den Strandabschnitt zu, wo alle ihre Brüste und Schnippis ungeniert in die Sonne hielten. Meine Mutter zog sich aus, und sie zerrte auch mir die Klamotten vom Leib. „Ach, herrlich ist das, oder?“ sagte sie dann immer. Ich bockte rum, verschanzte mich mit angezogenen Knien auf meinem Handtuch, bewegte mich keinen Millimeter und zog den ganzen schönen Sonnentag über eine Saure-Gurken-Fresse. „Och Marie, was soll das denn?“, nörgelte meine Mutter dann, „die anderen sind doch auch alle nackig, da ist doch nichts dabei! Außerdem ist es gut und gesund, wenn viel Sonne und Luft an den Körper und deine Haut kommt!“. Tja, da war sie bei mir an der falschen Adresse. Ich hatte ja nichts gegen Luft und Sonne am Körper, aber ich wollte nichts weiter als mein kleines Höschen tragen zu dürfen. Und schon wäre ich glücklich gewesen. Aber ich durfte nicht. Schließlich musste man an einem FKK-Strand tutti nudi sein. Und meine Mutter wollte mir nicht den Gefallen tun, den Strandabschnitt mir zu liebe zu wechseln.
    Völlig ausgewechselt war ich hingegen, wenn wir an Strände kamen, wo es keinen FKK gab. Da tobte und spielte ich den ganzen Tag. Und war unendlich glücklich darüber, meine kleine geblümte Badehose tragen zu dürfen. Mehr verlangte ich ja gar nicht.
    Ich hasste auch die Sommertage auf unserer Datsche. Wir hatten, wie fast jeder DDR-Bürger, so ein kleines Grundstück mit einem kleinen Haus drauf außerhalb der Stadt. Heute nennt man das Schrebergarten. Die Datsche gehörte meinen Großeltern. Und so verbrachten wir etliche Sommerabende und Sommerwochenenden dort, meine Mutter und ich, zusammen mit Oma und Opa. Und wenn es besonders heiß war, liefen alle nackt rum. Den ganzen Tag. Es wurde nackt gearbeitet und nackt gegessen. Dass alle nackt an der Kaffeetafel draußen im Garten saßen und Streuselkuchen mampften, war völlig normal. Normal war auch, sich nackt mit den meist ebenfalls nackten Nachbarn über den Gartenzaun hinweg zu unterhalten. Absurd kam es mir dann vor, wenn man nackt über politische Themen diskutierte.
    Und war wer angezogen, der Postmann zum Beispiel, war das auch völlig egal. Man unterhielt sich auch von Nackedei zu Nicht-Nackedei. Wobei, ganz nackt waren mein Opa und meine Oma nie, sie trugen immerhin Sonnenhut und Sonnenbrille. Aber untenrum baumelte alles frei herum. Omas riesige Brüste hingen ihr im Weg herum, wenn sie in den
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