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Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)

Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Jan Beinßen
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überreden. Aber nun standen sie mitten im CityPoint, und Jochen erspähte endlich ein ihm würdig erscheinendes Motiv: Da stand, im Zugangsbereich einer Boutique, eine junge Frau, mittelgroß, schlank, strohblondes Haar. Der Grund, warum Jochen genau wie Dieter, der Fotograf, Stilaugen machte, war nicht die Frau an sich, denn sie war zwar hübsch, aber ein Allerweltstyp, ja sogar ein wenig unscheinbar. Den besonderen Pfiff bot ihr Outfit: Sie stand in einem halb offenen Weihnachtsmannmantel vor dem Wäschegeschäft, darunter trug sie nichts als sündhaft rote Dessous.
    Auf Stöckelschuhen balancierend, versuchte sie, Passanten mit Werbeflyern zu beglücken, doch sie kam kaum zum Zug, denn die meisten Ehefrauen lenkten ihre Gatten im großen Bogen um die Boutique herum, einzelne Herrschaften trauten sich nicht in die Nähe der verführerischen Werbefee, und der Großteil der Frauen, der allein unterwegs war, beachtete die spärlich bekleidete Weihnachtsfrau nicht.
    Anders als Jochen Keller: Der Lokalreporter stieß seinen Fotografen mit dem Ellenbogen an. Beide tauschten einen bestätigenden Blick miteinander und gingen auf die junge Frau zu.
    Keller, knapp 1,90 Meter groß und mit dem breiten Kreuz eines Schwimmers, setzte ein gewinnendes Lächeln auf. Sein markantes Gesicht mit maskulinen Zügen und kleiner Kerbe im Kinn vollzog dadurch binnen Sekundenbruchteilen den Wandel von einem berechnend lauernden Ausdruck in eine offene und schmeichelnde Mimik.
    »Hallo«, sprach er die Frau an, die er aus der Nähe betrachtet auf Anfang 20 schätzte. »Wir kommen von der Zeitung und arbeiten an einem Bericht über originelle Einfälle zur Adventszeit.«
    »Ja?« Die Frau stakste etwas unsicher von einem High Heel auf den anderen.
    Jochen spreizte die Finger seiner linken Hand und fuhr mit ihnen wie mit einem Kamm durch sein gewelltes, blondes Haar. Eine Tolle fiel keck zurück in seine Stirn. »Wir wollen weder Bratwurstbuden ablichten, noch rotbäckige Dreijährige, die das Christkind bestaunen. Wir suchen das gewisse Etwas, verstehen Sie?«
    Die Frau tat verhalten, bemerkte den begehrlichen Ausdruck von Dieter und zog den samtroten Mantel über ihrem Dekolleté zusammen. »Ich weiß nicht, ob das der Chefin recht ist, wenn Sie mich fotografieren«, sagte sie mit einer Stimme, die für Jochens Geschmack fast zu rau und abgeklärt klang für eine Frau mit einem so zierlich geschnittenen Gesicht inklusive Stupsnase.
    Jochen reichte ihr seine Visitenkarte, die ihn als Redakteur auswies, und schlug ihr vor, die Chefin doch einfach schnell um Erlaubnis zu bitten. »Ist ja schließlich eine kostenlose Werbung für den Laden«, gab er der Kleinen mit auf den Weg.
    Kaum hatte sie ihnen den Rücken gekehrt, konnte Dieter eine Bemerkung nicht länger zurückhalten: »Heißer Feger, was?«, meinte der rundliche Fotograf, der sich durch fettiges Haar und Brille mit Gläsern dick wie der Boden einer Colaflasche auszeichnete. »Genau dein Kaliber, was?«
    Jochen verzog den Mund. Ihm war natürlich klar, worauf sein Begleiter anspielte. Und, zugegeben, sein redaktionsinterner Ruf als Playboy war ihm nicht ganz ohne Grund zugeflogen. Aber erstens erschien ihm der Altersunterschied zu diesem Mädel doch etwas groß zu sein und zweitens vermochte er sehr wohl zwischen Job und Privatem zu unterscheiden. Es kam ihm auf eine solide Arbeit an und nicht auf einen flüchtigen Flirt. Gerade jetzt, da er am Ausbau seiner Karriere arbeitete.
    Die Weihnachtsfrau kam mit einem gelösten Lächeln zurück aus dem Verkaufsraum. »Die Chefin hat grünes Licht gegeben«, sagte sie und stellte sich vors Schaufenster. Ohne, dass Dieter ihr nähere Anweisungen erteilen musste, schlug sie den Mantel wieder auf, stemmte einen Arm in die Taille und neigte den Kopf mit einem Augenaufschlag, der Männerherzen schmelzen lassen könnte. Die Art, wie sie sich in Pose warf, machte auf Jochen einen sehr geübten Eindruck. Ihm schien sogar, dass sie sich den Lippenstift nachgezogen hatte. Sein erster rührender Eindruck, dass die junge Frau verlegen oder sogar verschämt die Ware eines Dessousshops zur Schau stellen musste, wich dem eines durchaus selbstbewussten Twens, der die Reize der Weiblichkeit geschickt einzusetzen verstand.
    »Ich heiße übrigens Denise«, sagte sie an Jochen gewandt, nachdem Dieter seine Kamera verstaut hatte. Zu Jochens Verwunderung steckte sie ihm ein Kärtchen zu. »Im Gegenzug für Ihre Visitenkarte. Da ist meine Handynummer drauf. Nur,
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