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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe
Autoren: Alexandra Kui
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Desaster entwickeln.
    Eine langhaarige Gestalt im Bademantel gleitet aus Audreys Zimmer, Noa erliegt der Versuchung und riskiert nun doch einen Blick hinein. Drinnen Schummerlicht. Sie sieht ein Doppelbett, auf dem sich drei Frauen und ein Mann splitternackt miteinander vergnügen. Weit und breit keine Audrey. Gott sei Dank. Allerdings ist noch ein weiterer, ein bekleideter Mann anwesend, er steht bloß rum und sieht zu, im Halbdunkel an die Wand gelehnt wie ein gelangweilter Bodyguard. Ein nicht sonderlich großer Bodyguard. Es könnte der Anzugkavalier sein. Die Tür fällt zu, bevor Noa sich sicher ist.
    Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer hat sie erneut Pech und begegnet demselben Besoffenen ein zweites Mal, und wieder stellt er ihr dieselbe Frage. Was sie denn für eine sei?
    Als Noa sich später vorm Spiegel die Zähne putzt, ihr zweidimensionales Gegenüber unter der Röte kreidebleich und leicht schwankend, dämmert ihr, dass sie die Antwort im Prinzip nicht kennt.
    Bis zum Morgengrauen liegt Noa hellwach auf ihrem Laken, alle Sinne in höchster Alarmbereitschaft. Der Weichspülerduft irritiert sie jetzt doch, und sie wünschte, der DJ würde Feierabend machen, vielleicht könnte sie dann das Meer hören, den beruhigenden Klang der Wellen, das beste Schlaflied, das es gibt. Stattdessen hämmert die Base-Drum des DJ ohne Unterlass, wahrscheinlich ist der Gute längst auf Speed. Was noch schlimmer ist: Obwohl sie das Fenster geschlossen und die Klimaanlage eingeschaltet hat, spürt Noa den Atem des Giftwindes auf ihrer gereizten Haut.
    Samum. Könnte es nicht sein, dass der Wüstensturm tatsächlich einen gefährlichen Einfluss ausübt, dass er einen irgendwie um den Verstand bringt? Noa fährt sich mit der Zunge über die Lippen, fühlt Sand. Winzige Partikel nur, aber unverkennbar Sand. Samum. Der arabische Begriff flattert durch ihre Gedanken wie ein ganzer Fledermausschwarm, bis es Noa in ihrem Dämmerzustand vorkommt, als handele es sich um eine Zauberformel für schwarze Magie. Und Audreys glatzköpfige Pool-Bekanntschaft ist der dazugehörige Hexenmeister.
    Fünfzehn Stunden später sitzt sie in Reihe eins eines proppevollen Airbus auf dem Weg von Palma nach Hamburg-Fuhlsbüttel und beklagt sich bei ihrer Schwester über den alptraumhaften Verlauf der Nacht. Statt Mitgefühl erntet sie Gelächter.
    »Na, du hast ja eine blühende Fantasie. Deine Einschlafprobleme hängen wohl eher mit dem Champagner zusammen, den du nachmittags getrunken hast. Schwarze Magie, also echt. Vielleicht solltest künftig du die Bücher schreiben.«
    Noa lächelt müde. »Verzichte. Was würde denn dann aus dir werden?«
    »Ach, ich wüsste mich schon zu beschäftigen.«
    »Und womit?«
    Audrey nimmt den Kaffee entgegen, den die Flugbegleiterin ihr reicht, bittet um Milch.
    »Zum Beispiel mit Arne.«
    »Arne.« Noa ist geschockt, will es sich aber keinesfalls anmerken lassen und sagt so lässig wie möglich: »So heißt er also.«
    »Ja, so heißt er.« Audrey rührt ihren Kaffee um und trinkt, während Noa aus dem Fenster schaut. Mittelmeer. Der Schatten ihres Fliegers ein winziger, schwarzer Punkt auf dem endlosen Blau. Was auch immer sich Audrey von diesem Wochenendtrip erträumt hat, anscheinend sind ihre Erwartungen mehr als erfüllt worden. Sonst hätte sie den Namen nie und nimmer ins Spiel gebracht.
    »Ich habe euch beobachtet«, gesteht Noa.
    »Das habe ich befürchtet.«
    »Er sah überhaupt nicht aus, als wäre er dein Typ.«
    »Aha. Wie hätte er denn deiner Meinung nach auszusehen – als mein Typ?«
    Noa zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht genau. Jünger jedenfalls. Interessanter. Mit mehr Haaren.«
    »Das sind doch bloß Oberflächlichkeiten. Du kannst ihn doch nicht von vornherein für uninteressant halten, nur weil er nicht mehr ganz so viele Haare hat.«
    Audrey hat recht, das ist Noa klar. Mit einem für sie ungewöhnlichen Maß an kalkulierter Gehässigkeit spielt sie ihren letzten Trumpf aus: »Das stimmt natürlich. Und wenn er wirklich ein Langweiler wäre, würde er sich sicher nicht daran ergötzen, wie andere Leute Gruppensex haben. In deinem Bett, nebenbei bemerkt.«
    Audrey stellt die Plastiktasse auf das Tablett und macht ein Gesicht, als hätte gerade ein hochwichtiger Literaturkritiker eins ihrer Bücher in der Luft zerrissen. »Wie kommst du denn auf so was?«
    »Ganz einfach. Ich hab ihn beobachtet.«
    »Beim Gruppensex?«
    »Nein. Er hat anderen dabei zugeschaut. Er ist ein Voyeur – oder wie
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