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Falsche Nähe

Falsche Nähe

Titel: Falsche Nähe
Autoren: Alexandra Kui
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Trance und Soul passend zum Sonnenuntergang.
    »Wenn ich ehrlich bin, sind mir alle etwas zu alt da unten. Für die bin ich doch bloß Frischfleisch.«
    »Süße, ich weiß, was du meinst, aber falls es dich tröstet: Dieses Problem geht schneller vorbei, als dir lieb ist«, sagt Audrey mit einem Augenzwinkern und schließt die Tür.
    Wieder allein fühlt Noa sich verloren, doch die Traurigkeit hält nicht lange genug vor, um ihren Entschluss infrage zu stellen. Sie hat keine Lust zu feiern, hier im Bett ist sie besser aufgehoben. Die Laken verströmen einen blumigen, aber nicht unangenehmen Weichspülergeruch, draußen ziehen rosafarbene Schönwetterwolken vorbei. Sie gähnt, die Partygeräusche dumpf in ihren Ohren, dann macht sie die Augen zu, und es dauert keine zwei Songs, bis sie einschlummert.
    Sie wird wach, weil die Atmosphäre im Raum sich verändert hat. Es ist dunkel und heiß, dennoch fröstelt Noa, merkt, wie ihr Körper auf die widersprüchlichen Reize mit einer Gänsehaut reagiert. Als Nächstes nimmt sie eine Bewegung wahr, bekommt einen Riesenschreck, weil sie glaubt, dass noch jemand da ist und sie beobachtet. Sie ist auf den Giftwind hereingefallen, der theatralisch die Vorhänge aufbläht. Nachdem sie es kapiert und sich beruhigt hat, steht sie auf, geht zum Fenster.
    Fledermäuse huschen durch die Nacht ganz nah an ihr vorbei. Unten am Pool wird exzentrisch getanzt, ein dunkler, aggressiver Beat hallt über die Bucht und bringt ihr Zwerchfell zum Vibrieren. Der DJ hat ein eigenes Schlagzeug aufgebaut und verleiht den avantgardistischen Elektronikklängen aus dem Computer mit seinen Soli eine noch härtere Note. Wie Wüstentrommeln, nur modern. Wegen der Fledermäuse und der manisch zuckenden Bewegungen der Tänzer wirkt das Szenario unheimlich und auch deshalb ziemlich cool.
    Noa lehnt sich weit hinaus, um Ausschau nach ihrer Schwester zu halten, und entdeckt sie nur mit Mühe ein wenig abseits vom Getümmel neben der von heißen Böen gepeitschten Flamme einer Gartenfackel. Wie vorauszusehen war, hat sie einen Begleiter. Ein Typ im Anzug, zu klein, zu unscheinbar und, soweit Noa es auf die Entfernung erkennen kann, auch zu verlebt für sie. Vierzig mindestens. Sie plaudern mehr als angeregt, nahezu weltvergessen, die Köpfe dicht beieinander, die Körpersprache eindeutig zweideutig: zwei, die mehr voneinander wollen, sämtliche Hormone auf dem Sprung. Jetzt muss nur noch einer den Anfang machen. Lange kann es nicht mehr dauern.
    »Das darf nicht wahr sein«, murmelt Noa. Wegen dem alten Kerl sind sie quer durch Europa geflogen? Der hat ja nicht mal mehr Haare.
    Es hilft nichts, sie muss dringend auf die Toilette. Als sie ans Fenster zurückkehrt, haben Audrey und der Anzugheini sich verdrückt. Noa flucht. Sie hat es geahnt.
    Jetzt hilft nur noch eine unangemeldete Stippvisite in Audreys Zimmer. Ihre nicht ganz perfekte, aber glaubwürdige Ausrede für den Fall der Fälle: Sie hat Durst und ist unsicher, ob das Leitungswasser hierzulande genießbar ist, und weiß, dass neben dem Bett der Schwester immer eine Literflasche Sprudelwasser bereit steht, und zwar nicht irgendein Wasser, sondern genau ihrer beider Marke. Da sind sie beide penibel.
    Im Flur trifft Noa auf einen Besoffenen, der ihr mit dem Finger in den Bauchnabel bohrt und fragt: »Na, was bist du denn für eine?« Erschrocken und zugleich verärgert über die eigene Dummheit – warum hat sie versäumt, den Bikini aus- und etwas Vernünftiges anzuziehen? – stößt sie ihn weg.
    In einer Sitzecke wird gekokst, das weiße Pulver auf einem Kosmetikspiegel ein stichhaltiger Beweis. Sie sieht so etwas nicht zum ersten Mal, denkt automatisch an Audreys Warnung, die Finger von Kokain zu lassen. Wenn sie sich die riesigen Pupillen der Leute so ansieht, die aufgeputschte Leere in ihren Gesichtern, hat sie kein Problem damit, ihrer Schwester diesen Gefallen zu tun.
    Dann endlich steht sie vor der richtigen Tür. Noa legt ihr Ohr an das massive, weiß getünchte Holz. Es scheint zu schwitzen. Das ganze Haus seufzt und dürstet unter den Attacken des Samum. Drinnen geht es hoch her, das ist durch den Partykrach hindurch deutlich zu hören.
    Noa zögert. Ihr schlechtes Gewissen meldet sich zwar verspätet zu Wort, dafür aber umso eindringlicher. Was zum Teufel hat sie hier zu suchen? Es steht ihr nicht zu, ihrer Schwester hinterherzuspionieren. Sie begreift nicht, was mit ihr los ist. Ihr Bauchgefühl verrät: Das Wochenende wird sich zum
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