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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten
Autoren: Gemma O'Connor
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schwerfälligen Gang erkannte. O Gott, Gott im Himmel, Buller und sein schrecklicher Hund. Ihre Mutter war nicht bei ihm. Wahrscheinlich war er in Ringsend gewesen, um nach der Fabrik zu sehen. Das tat er oft, wenn er bei ihnen gewesen war. Ihr erster Gedanke war, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Ihre Mutter war in Sicherheit. Doch dann, ohne daß sie selber genau wußte, warum, war ihr klar, etwas Schreckliches würde geschehen. Ihr wurde schwindlig, und sie mußte sich am Fensterbrett festhalten, um nicht vom Stuhl zu fallen.
    Ein Hinterhalt. Wer waren sie? Warum versteckten sie sich? Warteten sie etwa auf Buller? Plötzlich waren die Flugzeuge wieder da, diesmal ziemlich nahe. Das ganze Haus erbebte. Das Dröhnen hallte in ihrem Kopf wider, so daß sie nichts mehr hörte. Alles, was nun folgte, lief wie ein Stummfilm in Zeitlupe ab, und doch war es binnen Sekunden vorbei. Ihr Herz schmerzte, so wild klopfte es, aber sie hielt durch und beobachtete alles wie im Traum.
    Der Hund blieb bei einem zerborstenen Tor stehen, um das Bein zu heben. Reynolds zog grob an der Leine und zerrte ihn hinter sich her. Langsam trotteten sie die Häuserreihe entlang, am ersten Haus vorbei, dann am zweiten, immer näher an die Straßenlaterne heran. Sonst regte sich nichts, bis sie aus den Augenwinkeln die Gestalt am anderen Ende der Straße aus der Dunkelheit auftauchen sah. Sie wunderte sich, warum er sich nicht mehr versteckte, bis sie merkte, er versuchte ganz offenkundig, nicht in Reynolds’ Blickfeld zu geraten. Zwar hielt er mit ihm Schritt, blieb jedoch weit genug hinter ihm, um nicht gesehen zu werden.
    Sie preßte ihr Gesicht an den Spalt. Noch immer hielt seine Hand etwas umklammert, aber sie konnte nicht erkennen, was es war; ein kleines Bündel oder Päckchen, dachte sie. Ihn selber erkannte sie ebenfalls nicht; er ging nach vorne gebeugt, und sein Gesicht blieb im Schatten. Ruckartig wandte er den Kopf, blickte hinter sich und verschmolz schlagartig mit den Büschen. Wahrscheinlich kam noch irgend jemand. Lily reckte den Hals, konnte jedoch nichts sehen.
    Reynolds ging nun am Haus der Brennans vorbei, der Nummer zehn; es war das einzige Haus in der kleinen Siedlung, das ihm nicht gehörte. Der Schatten im angrenzenden Garten schob sich auf den Gehsteig zu. Sie ließ ihn einen Augenblick lang aus den Augen, um zu sehen, wo die anderen waren, und vorübergehend verschwand er aus ihrem Blickfeld.
    Und plötzlich erblickte sie etwas wahrhaft Erstaunliches: aus dem Nichts tauchte ein Fahrrad auf, das sehr schnell geradewegs auf Reynolds zu fuhr. Der Radler war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Aber das seltsamste war – nicht das geringste Geräusch war zu hören. Oder falls doch, dann übertönte das über ihnen tosende Donnern es vollständig. Buller näherte sich der Straßenlaterne. Außer dem Lärm über ihm schien er nichts zu bemerken. Hin und wieder blieb er stehen und blickte zum Himmel hinauf. Das Fahrrad hielt dicht vor Buller an. Der Fahrer richtete sich auf, stützte sich mit einem langen, schwarz umhüllten Bein ab, damit das Fahrrad nicht umfiel, und blieb so mitten auf der Straße stehen, reglos wie eine Statue.
    Reynolds, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte, bemerkte jedoch immer noch nichts; anders der Hund. Er drehte sich um und fletschte die Zähne. Als Reynolds erneut an der Leine zerrte, sah auch er das Fahrrad. Sein Mund öffnete sich zu einem entsetzten O, als der Fahrer zu ihm herumschwenkte und den rechten Arm, den er mit der linken Hand abstützte, vorstreckte. In dem schwachen Schein der Straßenlaterne blitzte ein Revolver auf. Im gleichen Augenblick sah Lily, deren Augen hektisch zwischen den beiden hin und her huschten, wie die Gestalt im Garten sich zu einer knieenden Stellung aufrichtete; sie hielt ein viel, viel größeres Gewehr in der Hand.
    Dieser haarsträubende Anblick blieb wie eingefroren für immer in ihrem Gedächtnis haften. Zwei, drei Schüsse krachten. Buller Reynolds stand einen Augenblick unbeweglich da, die Arme halb in die Höhe gestreckt, dann, kippte er nach vorne. Im selben Augenblick dröhnte eine ungeheure Explosion, und der Himmel verfärbte sich rot. Buller stürzte zu Boden; Blut schoß aus dem, was von seinem Kopf übrig war, als er auf den Randstein schlug. Der Hund jaulte, riß sich los und hetzte die Straße hinunter; die Leine schleifte er hinter sich her. Der Radfahrer folgte. Starr vor Entsetzen beobachtete Lily, wie sie um die Ecke bogen
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