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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 4 Vor dem Hahnenschrei
Autoren: Martin Clauß
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schmerzten, die linke stärker als die rechte, die Brustwarzen zogen sich beinahe krampfhaft zusammen, und sie spürte, wie einige Tropfen Milch in die Stilleinlagen sickerten. Irgendetwas an dieser Situation – oder an ihrer psychischen Verfassung – schien die Arbeit der Milchdrüsen zu verstärken. Eine Sache, über die sie die Feuerwehrleute wohl nicht befragen konnte …
    Das Flattern in der Nähe des Traktors, das sie aus der Ferne gesehen hatte, führte sie auf Reflexionen auf dem Metall zurück. Ein Huhn war hier nirgends auszumachen.
    Umso besser! Zu nichts hatte sie weniger Lust als dazu, einem verwundeten Tier den Gnadenschuss zu geben. In ihrer Jugend wäre sie dazu fähig gewesen. Seit sie Mutter war, begann sie manchmal schon zu grübeln, wenn sie nur ein Ei aufschlug.
    Lyanne machte einen weiten Bogen um das rostige Fahrzeug, das seit Jahren keinen Anhänger mehr gezogen hatte, und näherte sich dem Stall. Der bitter-süße Geruch war kaum mehr zu ertragen. Rauch wehte in ihre Richtung. Sie drehte sich um, hielt die Luft an und wartete einige Sekunden, ehe sie wieder zu atmen begann.
    Auf der Rückseite des Stalls wurde das Dach noch von einigen trotzigen Eisenträgern gestützt. Diese Wand war von allem, was sie bisher gesehen hatte, am besten erhalten. Zwar wies sie zahlreiche Löcher in unterschiedlichen Größen auf, unregelmäßig geformt, mit verkohlten Rändern und mit schwarzen Flammenspuren darüber, aber die Struktur an sich hielt hier dem Gewicht des Daches noch stand.
    Vielleicht konnte man einen Blick ins Innere riskieren. Mal sehen, wie weit man sich der Wand nähern konnte, ohne gegrillt zu werden …
    Lyanne stöhnte, als sie auf etwas Weiches trat. Vor ihr im verdorrten Gras lag ein Huhn, und sie war ihm auf den Flügel getreten. Es bot keinen aparten Anblick mit den zu Stummeln verbrannten Federn, dem schwarz verkohlten Kamm und den leeren Augen. Wenigstens war es tot.
    Weit im Osten setzte sich endlich die Andeutung der Dämmerung durch, und die Polizistin erkannte, dass das Huhn, auf das sie getreten war, bei weitem nicht das einzige war, das der Flammenhölle entkommen war, um dann hier draußen an seinen Verletzungen zu verenden. Zwei, drei Dutzend der kleinen Tierkadaver lagen in Sichtweite, einige davon einzeln, andere in Grüppchen, als hätten sie im Tod die Nähe ihrer Artgenossen gesucht.
    Lyanne spürte keinerlei Übelkeit beim Anblick des toten Geflügels, doch die schaurig-schöne Szenerie verwandelte sich dadurch in ein Bild des Grauens. Einige der Tiere zuckten noch. Sie bemühte sich, es zu ignorieren. Zuckten Tiere nicht manchmal, wenn sie längst tot waren?
    Ich muss nach den Menschen sehen , drängte es in ihr. Es ist falsch, bei der Inspektion mit dem Stall zu beginnen. Durch und durch falsch. Hat Marc auch die Ambulanz gerufen? Nein, in solchen Fällen schicken sie automatisch einen Notarzt los.
    Ihr Vorhaben, ins Innere des Stalls zu spähen, gab sie auf. Weil es zu viel Zeit kostete. Weil die Hitze eine Annäherung auf mehr als sieben, acht Yards unmöglich machte. Und weil man in der Finsternis da drinnen ohnehin nichts Vernünftiges erkennen würde. Sagte sie sich.
    In Wirklichkeit wollte sie die Stapel aus Hühnerkadavern gar nicht sehen. Der Anblick würde sie schlagartig zur Vegetarierin machen, das wusste sie. Und sie liebte ihre Chicken Nuggets viel zu sehr, um sich das zu wünschen.
    Während sie parallel zu der langen Rückwand weiterging, bemüht, kein zweites Mal auf ein totes Huhn zu treten, drang der dunkle Ton wieder in ihr Bewusstsein. Auch wo sie jetzt stand, hinter dem Stall, mit den Rücken zu den offenen Wiesen, war er nicht schwächer geworden. Sie schüttelte den Kopf, rieb sich die Ohren, aber sie konnte ihn nicht loswerden.
    Als sie an der Ecke des Stalls angelangt war, geschah es.
    Eines der toten Hühner, das eben noch reglos auf der warmen Erde gelegen hatte, streckte den Hals, richtete sich ruckartig auf, kam auf die Beine und begann loszurennen. Beinahe in ihre Richtung jagte es. Einige Yards neben ihr hoppelte es mit unnatürlichen, aber erstaunlich behänden Bewegungen vorüber.
    Lyanne hielt den Atem an. Hätte dieses Huhn nur versengte Flügel und ein paar Brandblasen gehabt, wäre sein plötzliches Erwachen unerwartet, aber nachvollziehbar gewesen. Es hätte sich vielleicht nur einen Moment ausgeruht, Kraft geschöpft, um dann mit aller Kraft loszurennen, in die Kühle der Nacht hinein, wo die Wunden weniger schmerzten.
    Aber
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