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Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X

Titel: Falkengrund, Schule des Okkulten - Episode 14 Frisches Blut für X
Autoren: Martin Clauß
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kein Porzellan. Es sah so aus, als wollte man verhindern, dass sie sich selbst etwas antat. Die Ketten ließen ihr lediglich die Freiheit, den Oberkörper anzuheben und sich auf den Boden zu setzen. Aufstehen konnte sie nicht.
    „Ich dachte, Sie seien jünger“, begann sie zögernd. Sein Aussehen schien ihr nicht zu behagen. „Ihre Stimme klang jünger.“
    „Sie müssen verzeihen, wenn ich Ihrem Ideal nicht entspreche“, gab Sir Darren säuerlich zurück. Er wusste, dass er viel älter aussah als zweiundfünfzig. Sein schmales Gesicht wirkte eingefallen, war von Falten übersät.
    „Nein, nein, das …“ Sie bewegte sich kaum, starrte ihn nur an. Ihre Miene war eingefroren, ihre strahlenden Augen bohrend, suchend. „Ich fürchte nur, Sie werden mir nicht …“ Sie unterbrach sich, schluckte. „Sie müssen mir helfen“, sagte sie dann, und es war der erste Satz aus ihrem Mund, der für ihr Gegenüber Sinn machte.
    Der Brite kniete neben ihr nieder, griff nach ihren Handschellen und untersuchte sie. Ihre Hände waren verschwitzt. Ohne es zu wollen, erhaschte er einen Blick auf ihr Dekolleté. Das tief ausgeschnittene Kleid machte es ihm allzu leicht. Ihre Brüste glänzten ebenfalls vom Schweiß, und es schien, als mache es ihr nichts aus, ihm viel von ihrer üppigen Oberweite zu zeigen. Eine primitive, bäuerliche Sinnlichkeit ging von ihr aus. Er wandte sich ab, rasselte unwillig mit ihren Ketten. „Wissen Sie, wo der Schlüssel hierfür ist?“
    „Nicht im Haus“, erwiderte sie zögernd. „Sie müssen Hilfe holen! Gehen Sie in die Kirche – das ist der einzige Ort, von dem ich noch Hilfe erwarten darf. Sie wissen doch, wo die Kirche ist, nicht wahr?“
    Sir Darren brummte etwas Unverständliches. Man musste blind sein, um den Kirchturm in diesem Flecken zu übersehen.
    „Berichten Sie dem Pfarrer, was man mit mir gemacht hat“, drängte sie. „Er wird etwas unternehmen, damit ich gerettet werde.“
    „Wie ist Ihr Name?“, erkundigte sich Sir Darren nüchtern.
    „Veronika. Ich bin Veronika.“ Sie griff nach seiner linken Hand, fuhr mit den Fingern unter sein Jackett und tastete nach der Armbanduhr. „Wie spät ist es?“
    „Elf Uhr fünf“, sagte er, einer Eingebung folgend, und zog seine Hand weg.
    Ihre Augen wurden schmal. „Wirklich?“, fragte sie erschrocken. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Nein. Sie machen sich nur lustig über mich.“ Plötzlich verzog sie das Gesicht und kroch weg von ihm, so weit, bis sich ihre Ketten spannten. „Warum tun Sie das? Warum quälen Sie mich? Sie gehören zu ihnen , nicht wahr?“
    „Zu wem?“
    „Zu den anderen.“
    Sir Darren stand auf. „Erklären Sie mir, wer die anderen sind. Erklären Sie mir, was hier vorgeht.“
    Ihr Gesicht verzerrte sich. „Das kann ich nicht. Dafür bleibt uns nicht genug Zeit. Es ist in Wirklichkeit schon ein Uhr, nicht wahr? Sie können jeden Moment zurückkehren. Wenn Sie das Haus nicht sofort verlassen, werden Sie keine Gelegenheit dazu haben. Dann bin ich verloren – und Sie mit mir! Gehen Sie in die Kirche, solange es noch nicht zu spät ist.“
    „Was bedeutet diese Uhrzeit? Was geschah oder geschieht um elf Uhr fünf?“
    Ihre Augen zuckten unruhig hin und her. „Der Pfarrer wird es Ihnen erklären. Gott, warum können Sie mir nicht einfach helfen? Warum müssen Sie so …“ Sie verstummte.
    Sie war sehr verführerisch, wie dort auf dem Boden lag, halb verängstigt, halb wütend, den Kopf gesenkt, die klaren, sprudelnden Augen von unten her auf ihn gerichtet. Sir Darren registrierte widerwillig, dass er sich auszumalen begann, wie dankbar sie ihm sein würde. Wie unendlich dankbar, wenn er sie rettete. Die Vorstellung gefiel ihm, aber ihm gefiel nicht, dass sie ihm gefiel.
    „Den Pfarrer“, flehte sie. „Sie müssen den Pfarrer verständigen. Bitte! Es tut mir leid, dass ich gesagt habe, Ihre Stimme hätte jünger geklungen. Ich entschuldige mich! Sie sind nicht alt. Sie können mich doch nicht sterben lassen, nur weil ich etwas Taktloses gesagt habe!“
    Er dachte kurz nach und zog in Erwägung, dass er tatsächlich zu misstrauisch war – paranoid beinahe. Überall sah er Fallen. Hier lag eine junge, hilflose Frau in Ketten, und was tat er? Er war so sehr auf sich fixiert, dass er das Leid anderer nicht einmal mehr wahrnahm. Niemand hatte wissen können, dass er herkommen würde, also konnte ihm auch niemand eine Falle gestellt haben. Sie war beileibe kein Geist – sie war ein
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