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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition)
Autoren: Hilary Mantel
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bestrafen ihn.« Rafe beugt sich nach unten. »Ho, Sir, tut’s Ihnen jetzt leid?« Er spuckt in die Hände. »Was machen wir als Nächstes mit ihm, Gregory?«
    »Heb ihn hoch, und aus dem Fenster mit ihm.«
    »Vorsicht«, sagt er. »Der König mag Weston.«
    »Dann mag er ihn auch mit plattem Kopf«, sagt Rafe, und die beiden raufen und schubsen sich gegenseitig weg, weil jeder der Erste sein will, der Francis platt trampelt. Rafe öffnet das Fenster, und sie holen Schwung und hieven den Geist auf die Fensterbank. Gregory schiebt ihn nach draußen, macht die Jacke los, die sich verfangen hat, und sie werfen ihn kopfüber aufs Pflaster. Sie sehen ihm hinterher. »Er springt hoch wie ein Stehaufmännchen«, beobachtet Rafe. Sie schlagen sich den Staub von den Händen und lächeln ihn an. »Er wünscht Ihnen eine gute Nacht, Sir«, sagt Rafe.
    Später sitzt Gregory im Hemd auf dem Fußende des Bettes, das Haar wirr, die Schuhe von den Füßen getreten, und wetzt mit einem Fuß gedankenverloren über die Bodenmatte. »Werde ich also verheiratet? Werde ich mit Jane Seymour verheiratet?«
    »Anfang des Sommers hast du gedacht, ich wollte dich mit einer alten Matrone mit einem Wildpark verheiraten.« Die Leute ziehen Gregory auf: Rafe Sadler, Thomas Wriothesley und die anderen jungen Männer in seinem Haus; sein Cousin, Richard Cromwell.
    »Ja, aber worüber haben Sie die ganze letzte Stunde mit ihrem Bruder geredet? Erst war es Schach und dann Gerede, Gerede, Gerede. Es heißt, Sie mochten Jane selbst einmal.«
    »Wann?«
    »Im letzten Jahr. Im letzten Jahr haben Sie Jane gemocht.«
    »Wenn es so war, habe ich es vergessen.«
    »Die Frau von George Boleyn hat es mir gesagt. Lady Rochford. Sie sagte: ›Sie könnten eine Stiefmutter aus Wolf Hall bekommen, was würden Sie davon halten?‹ Wenn Sie Jane also selbst mögen«, Gregory legt die Stirn in Falten, »heiratet sie besser nicht mich.«
    »Denkst du, ich würde dir deine Braut stehlen? Wie der alte Sir John?«
    Als sein Kopf auf dem Kissen liegt, sagt er: »Psst, Gregory.« Er schließt die Augen. Gregory ist ein guter Junge, wenn auch all das Latein, das er gelernt hat, und die klangvollen Sätze großer Autoren in seinen Kopf hinein- und gleich wieder herausgerollt sind, Steinen gleich. Da denkt man an Thomas Mores Jungen: den Abkömmling eines Gelehrten, den ganz Europa bewunderte, und der arme John bringt kaum ein Vaterunser zustande. Gregory ist ein ausgezeichneter Bogenschütze, ein exzellenter Reiter, ein Held auf dem Turnierplatz, und auch an seinen Manieren ist nichts auszusetzen. Allen Höhergestellten gegenüber verhält er sich ehrerbietig, scharrt nicht mit den Füßen oder steht auf einem Bein, und mit den Menschen unter sich geht er gnädig und höflich um. Er weiß sich vor ausländischen Diplomaten nach deren Landessitte zu verneigen, sitzt ohne Zappeleien am Tisch, füttert beim Essen keine Spaniels und weiß ein Huhn zu zerlegen und aufzuschneiden, wenn er gebeten wird, die Älteren zu bedienen. Er hängt nicht krumm mit dem Arm in nur einem Ärmel da, starrt nicht in Fensterscheiben, um sich zu bewundern, glotzt nicht in der Kirche herum und unterbricht auch keine alten Männer und beendet ihre Geschichten für sie. Wenn einer niest, sagt er: »Gott sei mit Euch!«
    Gott sei mit Euch, Sir oder Madam.
    Gregory hebt den Kopf. »Thomas More«, sagt er. »Die Geschworenen. War das wirklich so?«
    Er hat die Geschichte des jungen Weston wiedererkannt: im weiteren Sinne, obwohl er den Einzelheiten nicht zustimmen kann. Er schließt die Augen. »Ich hatte keine Axt dabei«, sagt er.
    Er ist müde. Er spricht mit Gott. Er sagt: Gott, führe mich. Manchmal kurz vorm Einschlafen huscht die mächtige purpurne Präsenz des Kardinals an seinem inneren Auge vorbei. Er wünschte, der Tote würde ihm weissagen, doch sein alter Förderer redet nur von häuslichen Angelegenheiten, von Arbeitsdingen. Wohin habe ich diesen Brief gelegt, vom Herzog von Norfolk?, fragt er den Kardinal, und am nächsten Tag, in der Frühe schon, fällt ihm der Umschlag in die Hand.
    Er führt Selbstgespräche: nicht mit Wolsey, sondern mit George Boleyns Frau. »Ich hege keinerlei Wunsch zu heiraten. Ich habe keine Zeit. Mit meiner Frau war ich glücklich, aber Liz ist tot, und dieser Teil meines Lebens ist mit ihr gestorben. Wer in Gottes Namen gibt Ihnen, Lady Rochford, das Recht, über meine Absichten zu spekulieren? Ich habe keine Zeit, eine Frau zu umwerben. Ich bin fünfzig Jahre
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