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F (German Edition)

F (German Edition)

Titel: F (German Edition)
Autoren: Daniel Kehlmann
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Ernsthaftes. Er trat an die Rampe, nahm seine Brille ab und kniff spähend die Augen zusammen. «Der Herr da vorne im Pullover und der Herr gleich dahinter und Sie, junge Frau, bitte herauf!»
    Gequält lächelnd stiegen die drei auf die Bühne. Die Frau winkte jemandem, Lindemann wiegte missbilligend den Kopf, sie ließ es sein. Er stellte sich neben den Ersten von ihnen, einen groß gewachsenen Mann mit Bart, und hielt ihm die Hand vor die Augen. Eine Weile sprach er ihm ins Ohr und rief plötzlich: «Schlaf!» Der Mann kippte um, Lindemann fing ihn auf und legte ihn auf dem Boden ab. Dann trat er zu der Frau daneben, und es geschah das Gleiche. Ebenso bei dem anderen Mann. Sie lagen reglos.
    «Und nun seid glücklich!»
    Er müsse das erläutern. Lindemann drehte sich zum Saal, nahm seine Hornbrille ab, zog das grüne Stecktuch aus seiner Brusttasche und begann, sie zu putzen. Man kenne ja zur Genüge die albernen Suggestionen, welche mittelmäßige Hypnotiseure – Pfuscher und Wichtigtuer ohne Talent, wie es sie in jeder Profession im Übermaß gebe – ihren Probanden gern einflößten: Eiseskälte etwa oder Hitze, körperliche Starre, Phantasien von Flug oder Fall, gar nicht zu reden vom allseits beliebten Vergessen des eigenen Namens. Er stockte und blickte nachdenklich in die Luft. Heiß sei es hier, nicht wahr? Schrecklich heiß. Was da denn wohl los sei? Er tupfte sich die Stirn ab. Solche Albernheiten, wie gesagt, habe man oft genug gesehen, die werde er kurzerhand überspringen. Mein Gott, sei das heiß!
    Iwan strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Die Wärme schien in Wellen vom Fußboden aufzusteigen, die Luft war feucht. Auch Erics Gesicht glänzte. Überall fächelten Programmzettel nach Luft.
    Aber da könne man sicher etwas machen, sagte Lindemann. Keine Sorge, gewiss werde schon daran gearbeitet, das Theater habe fähige Techniker. Sogleich werde man die vorzügliche Klimaanlage aktivieren. Es sei wohl schon so weit. Hier oben höre man bereits das Summen der kühlenden Maschinen. Man spüre den Windhauch. Er schlug seinen Kragen hoch. Aber nun ziehe es doch arg. Die Anlage habe erstaunliche Kraft. Er behauchte seine Hände und trat von einem Fuß auf den anderen. Kalt sei es hier, sehr kalt, wirklich ganz schön kalt.
    «Was soll das denn?», fragte Arthur.
    «Merkst du es nicht?», flüsterte Iwan. Sein Atem stieg in Dampfwölkchen auf, seine Füße waren fühllos geworden, das Einatmen fiel ihm schwer. Martins Zähne klapperten. Eric schnäuzte sich.
    «Nein», sagte Arthur.
    «Gar nichts?»
    «Ich habe doch gesagt, bei mir funktioniert es nicht.»
    Aber jetzt genug, sagte Lindemann. Vorbei. Schluss. Mit derlei Scherzen wolle er, wie gesagt, niemandem Zeit stehlen. Er werde nun gleich und ohne Verzug zu etwas Interessantem kommen, nämlich der direkten Manipulation der Seelenkräfte. Die drei Herrschaften hier auf dem Boden befolgten schon eine ganze Weile seine Anweisung. Sie seien glücklich. Jetzt gerade, hier und vor allen Blicken, durchlebten sie die besten Augenblicke ihres Lebens. «Setzt euch auf!»
    Ungelenk wuchteten sie sich hoch und kamen aufrecht zu sitzen.
    «Jetzt schau», sagte Lindemann zu der Frau in der Mitte.
    Sie öffnete ihre Augen. Ihre Brust hob und senkte sich. Es lag etwas Seltsames darin, wie sie atmete und wie ihre Augen sich bewegten. Iwan verstand es nicht recht, aber er ahnte etwas Weites und Kompliziertes. Ihm fiel auf, dass eine Frau in der Reihe vor ihnen die Augen von der Bühne wandte. Der Mann neben ihr schüttelte empört den Kopf.
    «Augen zu», sagte Lindemann.
    Die Augen der Frau auf der Bühne schlossen sich sofort. Ihr Mund stand offen, ein dünnes Rinnsal Speichel lief heraus, ihre Wangen glänzten im Scheinwerferlicht.
    Doch leider, sagte Lindemann, sei nichts für immer, und das Schöne ende zuallererst. Gerade noch scheine das Leben groß und wundersam, aber die Wahrheit sei: Nichts bleibe, alles verrotte, alles sterbe ab, ohne Unterschied. Das verdränge man fast immer. Aber nicht jetzt, nein, nicht in diesem Augenblick. «Jetzt wisst ihr es.»
    Der bärtige Mann stöhnte. Die Frau sank langsam zurück und legte sich die Hände vor die Augen. Der andere Mann schluchzte leise.
    Aber man dürfe, sagte Lindemann, dennoch fröhlich sein. Ein kurzer Tag zwischen zwei endlos langen Nächten sei das Leben, umso mehr habe man sich der hellen Minuten zu erfreuen und zu tanzen, solange die Sonne noch scheine. Er klatschte in die Hände.
    Folgsam
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