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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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Fremde hantiert am Herd. Sie öffnet Kühlschrank und Brotkasten, greift in die Obstschale und Süßigkeitenschublade, läuft hin und her, langt mit beiden Händen zu und türmt die Lebensmittel auf der Arbeitsplatte auf.
    Der kleine Kochtopf dampft und blubbert schon. Sie dreht das Gas zu. Mit der Rechten zieht sie einen langstiligen Pinsel aus dem Regal und lässt ihn im Topf kreisen.
    Mit hochroten Borsten taucht er aus der köchelnden Tunke auf.
    Er folgt ihrem Armschwung und klatscht gegen den Fressalienturm. Mit sicheren, geübten Strichen nimmt sich die Fremde Oberfläche für Oberfläche vor.
    Fettige, gelbliche Butterglätte, raues, knusprig-braun Gebackenes, straff gespannte Traubenhäute; Tafeln und Riegel, Rädchen und Scheiben; Stück um Stück, Portion für Portion arbeitet sie ab. Auch der kleinste Krümel wird mit Glanz überzogen.
    Langsam erkalten die pastosen Rotschichten. Die Butter schmilzt unter einem bräunlich auftrocknenden Wundschorf.
    Karminrote Tropfen sprenkeln die Fliesen. Ausrufezeichen in Signalfarben bespritzen Kleidung und Schuhe der Köchin. Die Schuhe sind – es sind meine. Ich sehe sie ganz deutlich.
    Tyler hat sie nicht verbrannt.
    Die Frau pinselt unermüdlich weiter, beschichtet und glasiert jede Schale, jeden Schmelz und jeden Winkel.
    Der große, blutige Haufen wuchert über Arbeitsplatte und Boden und begräbt die Küche unter sich.
    Ich werde nichts davon essen können, denke ich, es ist alles glasiert. Überall Überzug und alles voll, so voll. Und Spuren. Eine blutrote Glasurspur wird sie zu mir führen.
    Nein, nein, rufe ich der Köchin zu, ich darf nichts davon essen!
    Ich darf nicht! Ich kann nicht!
    Nicht!
    Nicht!
    Nicht!

Dream on.
    Ich trage die Lichtschlange wie einen Gürtel um die Taille.
    Die Gänge sind verlassen, die Schließfächer verschlossen. Kein Schüler weit und breit. Die Uhr hat keine Zeiger.
    Ich suche nach einem Gegenstand, der glatt genug ist, um mich abzubilden. Wo finde ich eine reflektierende Fläche?
    Ich gehe durch alle Klassenräume. Stelle mich vor die Wasch­ becken, starre über Wasserhähne hinweg in rechteckiges, kaltes Glas.
    Die Spiegel erkennen mich nicht wieder. Ich kann mich nicht sehen.
    Eine Glocke läutet.
    Große, spitzbögige Portale öffnen sich. Viele Hundert Menschen strömen herein. Die Menge erfasst mich. Wir treiben die Gänge hinab und ergießen uns in eine glänzende Halle.
    Die Masse ordnet sich und bildet parallele Reihen. Ein Menschenfeld im Glashaus.
    Es werden Namen aufgerufen. Einzelne treten vor und nehmen Gegenstände entgegen: Löffel, Wasserschälchen, Flaschen, kleine Fetzen Silberpapier und Kupferplatten. Manche bekommen Rinderaugen in die Handflächen gelegt, andere Handspiegel.
    Aus den Lautsprechern wird mein Name gebrüllt. Ich löse mich aus meiner Reihe. Ein Vermummter winkt mich zu sich heran.
    Erwartungsvoll strecke ich ihm die Hände entgegen und erhalte nichts als ein abweisendes Kopfschütteln. Enttäuscht lasse ich die Arme fallen. Da tritt der Vermummte zur Seite und gibt den Blick auf eine dunkle, ovale Blutlache frei.
    Der Zeigefinger seines schwarzen Lederhandschuhs zeigt auf mich, dann auf die Lache. Das Gemurmel der Reihen in meinem Rücken wird lauter.
    »Sieh hinein«, befiehlt der Vermummte.
    Folgsam nähere ich mich dem roten Rand, beuge mich vor und – nichts. Die Oberfläche bleibt unverändert leer.
    Aus der Menge kreischt eine Stimme: »Sie hat keine Seele!«
    Erschrocken drehe ich mich um. Sehe, wie die Reihen zerfallen. Gesichter wimmeln umher. Ein Tumult aus Mündern. Sie schreien von überall her.
    »Sie hat sie verloren!«
    »Sie hat’s getan!«
    »Für immer verloren!«
    »Sie hat’s getan!«
    »Sie ist nicht wie wir!«
    »Sie war’s, sie war’s!«
    »Verbrennt sie, verbrennt sie,
sie darf nicht länger sein!«
    Der Vermummte hält mich an der Lichtschlange fest. Er drückt mir die Lederpranke auf Mund und Nase und sagt:
    »Man sieht es dir an, Elisabeth. Man sieht es dir an.«

Dream on.
    Ich öffne die Augen und sehe Kyles Gesicht.
    Er sitzt auf der Bettkante und starrt mich an.
    Du bist nicht wahr! Du bist NICHT wahr! Ich träume, ich weiß, dass ich träume! Ich muss nur laut genug schreien, dann werde ich aufwachen!
    Meine Lider klappen auf, und ich bin wach. Tatsächlich wach.
    Im Zimmer ist es hell. Mein Herz rast, das Bett ist feucht. Ich schlage die Decke zurück. Zwischen meinen Knien liegt der Baseballschläger. Tyler hat ihn nicht verbrannt.
    Auf dem
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