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Export A

Export A

Titel: Export A
Autoren: Lisa Kränzler
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Nachttisch steht eine Flasche Rum.
    Ich steige aus dem Bett, begieße Laken und Schläger mit Hochprozentigem und zünde Streichhölzer an. Die Kissen fangen Feuer. Eine brennende Wand teilt den Zimmerwürfel in zwei Hälften.
    Dichter Qualm hüllt mich ein. Ich verbrenne mich am Türknauf, huste um Hilfe. Rauch beißt mir in den Augen. Es wird dunkel um mich her. Ich höre es flackern und knistern und spüre, wie meine Knie nachgeben. Dann wird es still. Ich glaube, ich schlafe.
    Irgendwann weckt mich ein Luftzug.
    Jemand atmet mich an.
    Ich öffne die Augen.
    Es ist Kyle.
    Sein Gesicht ist ganz nah. So nah, dass seine Augen zu einem einzigen verschmelzen. Hilflos liege ich da, niedergestarrt von einem Zyklopen, der nicht sterben will.
    Ich schreie.
    Dream on.
    Sein Blut.
    Dream on.
    Sein Gesicht.
    Dream on.
    Spritzer und Spuren und Flecken.
    Dream on.
    I’m waiting for you.
    Dream on.
    Er fickt mich in seinen braunen Stiefeln.
    Dream on.
    Meine Eltern erkennen mich nicht.
    Dream on.
    Meine Hände gehorchen mir nicht.
    Dream on.
    Sie klopfen an meine Tür!
    Dream on.
    Die grüne Lichtschlange.
    Dream on.
    Die Vögel platzen in den Bäumen.
    Dream on.
    65 Jahre lang werde ich dir beim Sterben zusehen.
    Dream on.
    Ich hacke Gliedmaßen wie Holz.
    Dream on.
    Sie wissen es alle!
    Dream on.
    Josh vergisst meinen Namen.
    Dream on.
    Sein Gesicht.
    Dream on.
    Und immer wieder sein Gesicht.
    Dream on.
    Raben kündigen mein Kommen an.
    Dream on.
    Unter meinem Bett Verwesung.
    Dream on ⁠… and on ⁠… and on.
    Wer rettet mein Nachtgesicht?
    »Meine Seele sträubt sich, es anzurühren; es ist, als wäre mein Brot unrein.« (Hiob)
    Wir sitzen im Wäldchen auf einem Baumstumpf. Der Stumpf ist feucht, der Boden aufgeweicht. Ein blütenloser Frühling lässt braunen Schlamm sprießen. Tausend Tautropfen versprühen erdige Gerüche.
    Bernie isst meinen Lunch, ich rauche seinen Joint. Es ist erträglich – wie immer mit Bernie. Er stellt keine Fragen, verzichtet auf überflüssige Bemerkungen wie »What’s wrong?«, »You look tired«, oder »You should eat something«. Er spricht nicht über Offensichtliches, wirft mir keine besorgten Blicke zu und beteiligt sich zu meiner großen Erleichterung nicht an den Gesprächen über Kyles Tod.
    Schwer zu sagen, ob es ihn nicht interessiert, oder ob er von Natur aus zu diskret für derartige Themen, für Gerüchte ist.
    Wir sparen uns den Nachmittagsunterricht und trampen nach Downtown, wo wir uns durch die Läden treiben lassen.
    Waren verschwinden in Bernies Taschen.
    Dann laufen wir am Fluss entlang. Der Himmel, eine stahlblaue, blitzsauber ausgeleckte Schüssel, strahlt über uns. Nicht der kleinste Wolkenrest. Wir rauchen noch etwas und schreiten weiter neben den Wellen her, immer im Gleichschritt.
    Parkbänke gibt es keine. Stattdessen finden wir eine alte Palette, breiten unsere Jacken aus und hauen uns hin. Auf dem Rücken liegend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt schicken wir unsere Blicke aufwärts, verlieren den Fokus, stürzen in die Weite und die Weite in uns. Es riecht nach Schmelzwasser und Sonne. Ich bemerke noch das kleine, schwerelose Gefühl, den Rückzug meines Geistes in eine dunkle, abgeschottete Tiefe, bevor ich den Schlaf falle.
    Dicht verpackt in traumlose Schwärze liege ich neben Bernie.
    Mein Atem geht ruhig, jeder Zug ein Zuckerstück, eine süße Schwere, die sich auflöst und direkt ins Blut geht.
    Als ich aufwache, sinkt die Sonne bereits. Im Osten liegen Wolken.
    Ich blinzle. Bernie hat den Kopf auf den Ellbogen gestützt. Wimpernschwarz verschwommen sehe ich sein amüsiertes Grinsen.
    »Good morning. You want a cigarette?«
    Mit geschlossenen Augen nicke ich und schnappe mit den Lippen nach der »Export A«. Beim ersten Aufglühen der Zigarette setze ich mich auf und lasse das Abendrot in meine Pupillen fallen.
    Über uns schwebt inzwischen der Mond.
    Zeit zu gehen. Wir ziehen die Jacken an und machen uns auf den Rückweg. Vor uns blinken Lichter auf.
    Wir haben Glück. Als wir den Parkplatz hinter »Tim Horton’s« überqueren, hupt uns ein roter Truck zu. Es ist Blake.
    Auf der Bank neben dem Fahrersitz ist Platz für uns zwei. Aus den Boxen knurrt DMX . Ich sitze in der Mitte. Die Klimaanlage gibt warm und Blake gibt Gas. Zum ersten Mal seit Langem bin ich frei von Kopfschmerzen, habe tatsächlich geschlafen, nicht ge träumt und fühle mich angenehm gedankenlos.
    Bernie dreht am Lautstärkeregler. Zu dritt grölen wir die Lyrics
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