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Exit

Exit

Titel: Exit
Autoren: Jonathan Kellerman
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Geschrei, so daß die Verwaltung versprach, regelmäßige Streifengänge einzuführen.«
    »Und das hat man auch durchgezogen?«
    »Ich glaub schon. Man sieht mehr Uniformen auf dem Gelände, und seitdem ist niemand mehr überfallen worden. Doch der Preis dafür ist eine Anzahl weiterer Änderungen, um die niemand gebeten hatte. Privatbullen auf dem Campus, neue Ausweise und häufig Schikanen von der Art, wie du sie erlebt hast. Persönlich glaube ich, daß wir der Verwaltung nur in die Hände gespielt haben - daß wir ihr die Rechtfertigung verschafft haben, stärkere Kontrolle auszuüben. Und wenn sie diese Kontrolle einmal hat, dann wird sie sie so schnell nicht wieder aufgeben.«
    Im fünften Stock waren Kinder zwischen einem und elf Jahren untergebracht, die keiner hochtechnisierten Pflege bedurften. Die hundert Betten der Oststation nahmen zwei Drittel des Stockwerks ein. Das übrige Drittel im Westen gehörte einer Privatstation mit zwanzig Betten, die durch eine Teakholztür mit Messingschild und der Aufschrift SONDERABTEILUNG HANNAH CHAPELL vom Rest abgeteilt war.
    »Chappystation« bedeutete kein Zutritt für das gemeine Volk und für Anfänger, und wurde getragen von Stiftungen, Privatversicherungen und Barschecks.
    An diesem Morgen waren fast alle zwanzig Zimmer leer.
    Hinter einem Schalter standen drei gelangweilt dreinschauende Schwestern. Ein paar Meter daneben feilte eine Sekretärin ihre Fingernägel.
    »Morgen, Dr. Eves«, sagte eine der Krankenschwestern zu Stephanie, wobei sie mich mit einem nicht allzu freundlichen Blick bedachte. Ich fragte mich, warum, und antwortete mit einem Lächeln, worauf sie sich abwandte. Sie war Anfang Fünfzig, klein, untersetzt und hatte eine derbe Haut, ein langes Kinn und eine blonde Haarsprayfrisur. Als Uniform trug sie ein graublaues Kleid mit weißen Säumen und auf ihrem gestärkten Haarschopf eine gestärkte weiße Haube, wie ich sie seit langem nicht mehr gesehen hatte.
    Die beiden anderen Schwestern, junge Filipinas, tauschten Blicke und verschwanden wie auf ein geheimes Zeichen.
    »Morgen, Vicki«, erwiderte Stephanie den Gruß, »wie geht es unserer Kleinen?«
    »So weit, so gut.« Sie zog eine Akte mit dem Zeichen 505W aus einem Fach und gab sie Stephanie. Ihre Fingernägel waren ungepflegt, abgenagt. Sie schaute mich wieder an. Mein Charme schien immer noch keine Wirkung auf sie zu haben.
    »Das hier ist Dr. Alex Delaware, unser beratender Psychologe«, stellte mich Stephanie vor, während sie die Akte durchblätterte. »Dr. Delaware, Vicki Bottomley, Cassies Privatschwester.«
    »Cindy sagte schon, daß Sie vorbeikommen würden.« Aus dem Mund der Schwester klang es wie etwas Schlimmes.
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich.
    »Ganz meinerseits.« Die herausfordernde Gleichgültigkeit in ihrer Stimme ließ Stephanie aufschauen.
    »Stimmt etwas nicht, Vicki?«
    »Doch, doch«, antwortete die Schwester mit einem Lächeln, das wie eine Ohrfeige wirkte. »Alles in bester Ordnung. Sie behielt das meiste von ihrem Frühstück bei sich, auch ihre Säfte und Medikamente -«
    »Welche Medikamente?«
    »Nur Tylenol. Vor einer Stunde verabreicht, weil Cindy meinte, sie hätte Kopfschmerzen. Es ist alles vermerkt.« Sie zeigte auf die Akte.
    »Ja, ich sehe. Gut, für heute laß ich das durchgehen, Vicki, aber das nächstemal keine Medikamente, auch nicht das harmloseste, ohne meine Erlaubnis. Außer Nahrung und Getränken muß ich alles genehmigen, was diesem Kind verabreicht wird. Verstanden?«
    »Ja, Dr. Eves. Gibt es sonst noch etwas?«
    Stephanie las die Akte zu Ende und gab sie zurück. »Nein, im Moment nicht. Ich gehe jetzt rein und stelle Dr. Delaware vor. Gibt es noch etwas über Cassie, das Sie uns erzählen möchten?«
    Bottomley zog eine Haarnadel heraus, rückte ihre Haube zurecht und steckte sie wieder fest. Ihre weit auseinanderstehenden blauen Augen mit den langen Wimpern bildeten angenehme, weiche Kontrapunkte in dem sonst groben, angespannten Gesicht.
    »Was meinen Sie?« fragte sie zurück.
    »Irgend etwas, das Dr. Delaware wissen sollte, damit er Cassie und ihren Eltern helfen kann, Vicki.«
    Bottomley starrte sie einen Moment lang an, bevor sie sich an mich wandte. »An den Eltern ist nichts auszusetzen. Das sind ganz normale Leute.«
    »Ich habe gehört, daß die Behandlungen Cassie ziemlich aufregen.«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und erwiderte: »Wie würden Sie denn wohl reagieren, wenn Sie all das über sich ergehen
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