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Exit

Exit

Titel: Exit
Autoren: Jonathan Kellerman
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dünn.«
    »Daran hat sich bis heute nichts geändert, Alex. Ich bin in die Fakultät gegangen und habe die wenigen Quellen durchgesehen, die es gibt.«
    »Ich würde die Artikel gern ausleihen.«
    »Ich habe sie dort gelesen, mitgenommen habe ich nichts«, sagte sie. »Aber ich glaube, ich habe die Quellenangaben irgendwo. An den Ausdruck ›Variante von Persönlichkeitsstörung‹ kann ich mich übrigens noch erinnern - was immer damit gemeint sein mag.«
    »Es bedeutet, daß wir nichts wissen, deshalb saugen wir uns etwas aus den Fingern. Beschreibung anstelle von Erklärung. Ein Teil des Problems ist, daß Psychologen und Psychiater auf Informationen angewiesen sind, die von den Patienten kommen. Und einem Münchhausen eine Geschichte abnehmen heißt, sich auf einen chronischen Lügner zu verlassen. Doch die Geschichten, die solche Menschen erzählen, wenn sie entlarvt sind, scheinen einigermaßen Sinn zu machen: frühe Erfahrungen mit schwerer Krankheit oder Schmerz, Familien, in denen Krankheit und Gesundheit überbetont waren, Kindesmißhandlung, auch Inzest. Als Ergebnis sehr geringe Selbstachtung, Beziehungsprobleme und ein krankhaft übersteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Das Krankenhaus wird zur Arena, in der sie dieses Bedürfnis ausleben - deshalb ergreifen so viele von ihnen Berufe im Gesundheitswesen. Doch eine Menge Leute mit derselben Vorgeschichte werden nicht zu Münchhausen-Fällen. Münchhausens, die sich selbst verletzen, und solche, die Stellvertreter benutzen und ihre Kinder quälen, lassen sich von ihrem Hintergrund her nicht unterscheiden. Es gibt sogar Anhaltspunkte dafür, daß Stellvertreter-Münchhausens als Selbstverstümmler anfangen und erst später dazu übergehen, ihre Kinder zu mißbrauchen. Doch niemand weiß, warum und wann das passiert.«
    »Verrückt«, sagte Stephanie kopfschüttelnd, »es ist wie ein Tanz. Ich komme mir vor, als tanzte ich Walzer mit ihr, und sie ist diejenige, die führt.«
    »Ein Teufelswalzer.«
    Sie schauderte. »Ich weiß, wir reden hier nicht über exakte Wissenschaft, Alex, aber wenn du nur versuchen könntest, an sie heranzukommen, wenn du mir sagen könntest, ob sie verantwortlich ist oder nicht…«
    »Sicher. Aber ich wundere mich ein wenig, daß du die Psychologen hier im Hause nicht hinzugezogen hast.«
    »Die Abteilung existiert nicht mehr.«
    »Wie bitte?«
    »Sie sind alle gefeuert worden.«
    »Die ganze Abteilung? Wann?«
    »Vor ein paar Monaten. Liest du die Personalrundschreiben nicht?«
    »Nicht sehr oft.«
    »Hat ganz den Anschein. Jedenfalls ist die psychologische Abteilung aufgelöst worden. Hardestys Vertrag mit der Regionalverwaltung lief aus, und andere Finanzmittel hatte er nie beantragt. Folglich stand er plötzlich ohne Geld da. Und der Vorstand weigerte sich, ihn aufzufangen.«
    »Und was ist mit seiner Fakultätsstelle? Und die anderen - Greiler und Pantissa - hatten die nicht auch Dauerstellen?«
    »Und wenn schon. Die Stellen sind von der Uni, nicht von der Klinik. Deshalb durften sie ihre Titel behalten; aber die Gehälter sind eine ganz andere Geschichte. Das war eine Ernüchterung für die unter uns, die dachten, sie hätten einen sicheren Arbeitsplatz. Nicht daß irgend jemand für Hardesty gekämpft hätte. Alle hielten ihn und seine Leute für unnützen Ballast.«
    »Keine Psychoabteilung mehr«, sagte ich, »und keinen Gratiskaffee. Und was gibt es sonst noch Neues?«
    »Oh, jede Menge. Betrifft dich das irgendwie - daß die Abteilung geschlossen wurde, meine ich?«
    »Nein. Ich gehöre zur Kinderabteilung, Onkologie, genauer gesagt, obwohl es Jahre her ist, daß ich das letztemal einen Krebspatienten vor mir hatte.«
    »Gut«, sagte sie, »dann wird es wenigstens von der Verwaltung her keine Schwierigkeiten geben. Noch Fragen, bevor wir nach oben gehen?«
    »Nur ein paar Bemerkungen. Wenn es Stellvertreter-Münchhausen ist, dann stehen wir unter Zeitdruck - der normale Verlauf bedeutet Eskalation. Bisweilen kommen Kinder zu Tode, Steph.«
    »Ich weiß«, sagte sie bedrückt. Sie rieb sich die Schläfen.
    »Aber bevor ich gegen die Mutter vorgehen kann, muß ich ganz sicher sein.«
    »Und was ist mit dem ersten Kind? Ich nehme an, du hast da auch Mord in Betracht gezogen?«
    »O Gott, ja, seit mein Verdacht gegen die Mutter Gestalt angenommen hat, hat das die ganze Zeit an mir genagt. Ich bin seine Akte durchgegangen, Buchstabe für Buchstabe, ohne irgend etwas Dubioses finden zu können. Ritas laufende
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