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Exit Mosel

Exit Mosel

Titel: Exit Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Im Inneren ragten die Sitze und die Bügel der Kopfstützen aus einer graubraunen Brühe.
    »Gibst du gleich über Kanal zehn durch, dass wir die Kiste geborgen haben und die Schifffahrt wieder freigegeben ist?«, rief Stadler seinem Kollegen zu, der sich tief nach vom beugte, um mit der Kamera durchs Heckfenster in das Wageninnere zu fotografieren. Er ging immer näher heran, drückte immer wieder auf den Auslöser und nahm dabei in Kauf, dass Wasser aus dem Wagen über seine Schuhe lief, während er Kopf und Schultern durch das Loch zwängte, wo sich vorher die Heckscheibe befunden hatte.
    Für Grabbe konnte das nur eines bedeuten. Er trat zögernd näher.
    »Ein Glück, dass ich einen Polfilter habe, um die Spiegelungen zu brechen«, murmelte der Schlacks, während er weiter auf den Auslöser drückte und dann den Blitz zuschaltete.
    Was da im Wasser dümpelte, erinnerte Grabbe eher an eine jahrhundertealte verwitterte Skulptur mit dunkler Oberfläche. An Haut und Haare dachte er nicht, dafür war zu wenig Menschliches vorhanden.
    Grabbe nahm sein Handy heraus und rief Gabi an: »Ich brauche dich und die Spurensicherung, die Gerichtsmedizin, das volle Programm.« Er wunderte sich, mit welch fester Stimme er noch sprechen konnte, nach dem, was er gerade gesehen hatte.
    »Wo bist du?«, fragte Gabi.
    »Immer noch auf der Mosel zwischen Ehrang und Quint.« Grabbe sah zu einem Schiff hinüber, das sich langsam moselaufwärts schob.
    »Meine Jacht ist leider schon winterfest. Wie stellst du dir vor, wie wir zu dir kommen sollen?«
    »Mir ist absolut nicht nach Scherzen zumute.«
    »Das war auch mein Ernst.«
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen wie …« Grabbe brach ab. Bei ihm dauerte es oft eine Weile, bis ein Ereignis in voller Tragweite in sein Bewusstsein drang. Der Schreck fuhr ihm buchstäblich in die Knochen. Er fühlte sich mit einem Mal entsetzlich müde und hätte sich gerne hingelegt. Aber hier gab es nicht einmal eine Bank oder einen Stuhl.
    »Grabbe, alles okay?«, kam Gabis leicht besorgt klingende Stimme aus dem Hörer.
    Kaum war der Lastkahn vorbei, hüpfte der Prahm mit seinen Anliegern auf den Wellen. Direkt dahinter folgte ein zweites Schiff und ließ seine Wellen in die vorherigen übergehen. Grabbe wankte zum Rand und hielt sich mit einer Hand an der Relingschnur fest. Mit der anderen fasste er sich an die Stirn. Die Plattform schien gar nicht mehr zur Ruhe zu kommen. Stadlers Tipp, in die Fahrtrichtung zu schauen, half auf einem vor Anker liegenden Verband nichts. Grabbe stand mit offenem Mund auf dem Deck und atmete tief ein und aus. Seine Beine gaben nach, die Übelkeit gewann die Oberhand. In dem Gefühl, er würde auf der Stelle sterben, kniete er sich auf den nassen Boden, ließ die Schnur los, bekam eine Stange an der Reling zu fassen, bevor er sich über Bord in das schnell vorbeifließende Wasser erbrach.
    Er spürte nicht, wie Stadler ihn hinten am Kragen seiner Jacke packte, während er das Mobiltelefon vom Deck nahm und Gabis Stimme hörte, die immer wieder ein fragendes Hallo rief.
    »Gabi?«
    »Ja, geht es wieder?«
    »Klar, warum sollte es nicht?«, sagte Stadler in seiner aufgeräumten Art.
    »Günther?«
    »Ja, ich bin’s, dein Kollege ist gerade … unpässlich.«
    »Was ist los?«
    »Da schwimmt in der Tat eine Leiche in dem Wagen.« Stadler guckte hinunter zu Grabbe, der einen zweiten Schwall zu den Fischen schickte.
    »In welchem Wagen?«
    »Ja, der gerade gehoben worden ist.«
    »Kennzeichen?«
    »Sind keine dran«, sagte Stadler.
    »Und nun?«
    »Wir kommen hoch zum Bauhof an der Schleuse Feyen.«
    »Wann seid ihr da?«, fragte Gabi.
    »Ich schätze, eine gute Stunde werden wir brauchen, plus Schleusengang.« Stadler beugte sich hinunter und steckte das Mobiltelefon in die oberste Tasche von Grabbes Sakko.
    *
    Vor dem Steuerraum des Schleusenwärters an der Trierer Staustufe blies der Wind unangenehm kühl von Osten her über das Wasser. Walde sah über die tiefe Schleusenkammer, deren Tore vom letzten talwärtigen Schleusen noch offen standen, auf die Staumauer. Neben ihm lehnte Gabi rauchend an der Scheibe. Die Ringe unter ihren Augen waren heute fast so dunkel wie die von Doris. Walde stellte fröstelnd den zu kurzen Kragen seiner dünnen Stoffjacke hoch. »Wie kommt es eigentlich, dass Grabbe alleine gefahren ist?«, knüpfte er an die Frage an, der sie bei ihrem Telefonat am Mittag ausgewichen war.
    »Um das zu erfahren, bist du hergekommen?«, fragte Gabi.
    Walde
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