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Exit Mosel

Exit Mosel

Titel: Exit Mosel
Autoren: Mischa Martini
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fragte sich selbst, warum er sich hatte von Gabi abholen lassen, nachdem sie ihn mehr oder weniger pro forma über den Leichenfund informiert hatte.
    »Da!« Gabi schnippte ihre nur angerauchte Zigarette über den Rand des Stauwehrs. Während Walde vergeblich auf das Zischen der im Wasser erlöschenden Kippe wartete, folgte sein Blick dem moselabwärts ausgestreckten Arm seiner Kollegin. Wo vorhin das zweite der beiden talwärts geschleusten Schiffe um die Biegung verschwunden war, kam nun das kleine Boot der Wasserschutzpolizei um die Kurve, und gleich darauf war der Prahm zu sehen. Der graue Punkt darauf musste das Autowrack mit der Leiche sein, wegen der nicht nur sie beide, sondern auch Sattler mit einem Teil seines Teams von der Kriminaltechnik und Dr. Hoffmann von der Gerichtsmedizin gekommen waren. Diese drängten sich nebenan im Steuerraum.
    Die Boote näherten sich nur langsam. Auf dem letzten Stück ließ das Polizeiboot den Prahm mit dem Schlepper vorbei, bevor es dahinter in die lange Schleusenkammer einfuhr, wo der Verband wie Spielzeugboote in einer Badewanne wirkte.
    Stadler winkte. Er stand an der Reling und wechselte immer wieder das Sicherungsseil in den leiterförmig übereinander angeordneten Einbuchtungen, an denen entlang das Boot langsam emporgehoben wurde. Grabbe und der um einen Kopf größere Wasserschutzpolizist am Steuer hoben fast synchron die Hand.
    Die Lichter entlang der Schleusenkammer wurden eingeschaltet, als die Gruppe um Sattler mit dem Gerichtsmediziner im Schlepptau das Schleusenhaus verließ und sich zu dem kleinen Hafenbecken nebenan auf den Weg machte. Gabi und Walde trotteten hinter ihnen her.
    In dem tristen Hafenbecken dümpelte ein rostiger Schlepper, der so aussah, als täte er das nicht erst seit gestern. Dahinter führten Schienen an einer schrägen Betonrampe hoch, die an einer Ansammlung von Regalen endeten, in denen allerhand Kram unter freiem Himmel lagerte. Daneben parkten die Wagen. Tabakgeruch wehte von der nahen Zigarettenfabrik herüber.
    Die Plattform legte an einer mit Autoreifen verkleideten Rampe an. Immer noch tropfte Wasser aus dem Wrack, dessen wenige verbliebene Scheiben angelaufen waren. Aus dem Wagenboden führte ein Stahlseil zu dem Ausleger einer Seilwinde. Von den Männern der Kriminaltechnik wurden zügig Gerätschaften herangebracht, während Stadler von dem dahinter anlegenden Polizeiboot auf den Prahm sprang und das Boot mit Leinen festzurrte. Am Ufer lehnte Gabi eine von Stadler angebotene Zigarette ab. Scheinwerfer wurden aufgestellt. Auch Walde und Dr. Hoffmann trugen nun weiße Overalls wie Sattler und seine Teamkollegen.
    »Geht es dir wieder besser?« Der Wasserschutzpolizist kickte mit dem Fuß einen Klumpen harten Teer in Richtung Wasser.
    »Hmh, abgesehen davon, dass ich mich auf den Feierabend gefreut hatte«, antwortete Gabi.
    Stadler musterte sie von der Seite. »Wohl letzte Nacht zu wenig Schlaf gekriegt.«
    »Was guckst du so wissend?«, fragte sie.
    »Du sollst gefeiert haben.«
    »Was hab’ ich?«
    »Gefeiert.«
    »Wer sagt das?«
    »Warst du nicht auf einer Premierenfeier?« Stadler schaute wieder zur Plattform, wo die Scheinwerfer das Wrack in helles Licht tauchten. »Wenn die Theaterleute ins Bett gehen, muss unsereins zur Arbeit.«
    »Aha!«
    Walde sah die verrußten Teile im Wageninneren. Die Scheiben waren überhaupt nicht angelaufen, sondern die milchige Farbe war durch die Hitze verursacht worden.
    Als von allen Seiten des Wracks Fotos gemacht waren, griff Sattler in die Einbuchtung am unteren Rand der Heckklappe. Ein Kollege half ihm, das klemmende Teil nach oben zu wuchten und hielt es fest, während Walde sich hineinbeugte. Er hatte versucht, wie schon so oft, sich auf das zu Erwartende einzustellen. Das sollte ihm helfen, halbwegs analytischen Gedanken nachzugehen und sich nicht allzu sehr mit dem eigenen Entsetzen oder Ekel beschäftigen zu müssen. Meistens funktionierte es. Aber diesmal nicht. Er wusste, was mit Menschen im Feuer geschah. Und doch war es hier anders. Auf den ersten Blick hätte es ein Kind sein können, das hier in Embryonalstellung vor ihm lag, das Gesicht ihm zugewandt. Von Gesicht konnte jedoch keine Rede mehr sein. Den vor der Brust angewinkelten Armen fehlten die Hände, die wohl in höchster Not vor das Gesicht gehalten worden waren. So bald, wahrscheinlich niemals, würde er diesen Anblick vergessen können. In Sekunden hatte er die Details der Szenerie gespeichert. Die Bilder würden
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