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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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Rakete war auf dem Weg.
    »Erste Rakete im Anflug … sechzig Kilometer … vierzig … zwanzig …«
    Floyd starrte nach unten und wünschte sich mit aller Kraft ein Ergebnis. Aber der Silberfleck bewegte sich weiter.
    »Null«, sagte Auger. »Null. Scheiße.«
    Die erste Rakete schnitt durch die Atmosphäre und bohrte sich in den Himmel über einer Inselkette mitten im Pazifik, die Floyd nicht kannte. »Ich kann sie nicht rechtzeitig umkehren lassen«, sagte Auger.
    »Versuch es!«
    Aber die Rakete hatte bereits selbst über ihr Schicksal entschieden. Ein stecknadelkopfgroßes Licht blitzte auf, wurde in Sekundenschnelle so intensiv, dass es in den Augen schmerzte, und war genauso schnell wieder verblasst.
    »Der Sprengkopf ist von selbst detoniert. Das ist nicht gut.«
    »Der zweite Fisch?«
    »Auf Kurs. Dreihundert Kilometer.«
    Der bewegte Fleck, der Niagaras Schiff war, kehrte plötzlich die Antriebsrichtung um. Auch ohne Vergrößerung konnte Floyd erkennen, wie das Shuttle seinen Kriechkurs vor dem Hintergrund des Ozeans änderte. Das Meer war hell, klar und glatt wie Marmor. Wolken und Inseln waren mit künstlerischer Präzision über das makellose Antlitz verteilt, in unterbrochenen Linien und fließenden Kurven. Es war seine Welt, wie sie noch nie ein Mensch zuvor gesehen hatte. Er schnappte nach Luft.
    Er verspürte tiefes Bedauern. Es war ein wundervoller, großartiger Anblick, aber ihm fehlte schlicht die Zeit, die Aussicht zu genießen.
    Vielleicht beim nächsten Mal.
    »Der Mistkerl wird langsamer«, sagte Auger.
    »Er ist so weit.«
    »Zweihundertfünfzig Kilometer. Rakete wird langsamer.«
    »Langsamer?«
    »Sie lernt von ihrer Kollegin. Versucht, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen.«
    »Ich hoffe, sie weiß, was sie tut.«
    »Zweihundert Kilometer … wird immer noch langsamer. Vielleicht eine Fehlfunktion. Scheiße, ich hoffe sie hat keine Fehlfunktion!«
    »Falls sie eine hat, müssen wir darüber nachdenken, mit dem Ding hier eine Rammaktion zu unternehmen.«
    Auger drehte sich zu ihm um. Er war sich nicht sicher, ob ihr Gesicht Anerkennung oder Entsetzen zeigte. »Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte sie. »Ich habe den Abfangkurs schon programmiert.«
    »Nett, dass du das erwähnst.«
    »Das hätte ich früher oder später sowieso getan.« Sie blinzelte und setzte zum Sprechen an. Floyd konnte den reißenden Datenstrom, der durch ihren Kopf raste, beinahe selbst spüren.
    »Der Fisch, Auger?«
    »Verlangsamt bei hundert Kilometern … Nein, Moment.« Sie zögerte. »Moment. Sie ist wieder auf Höchstgeschwindigkeit.«
    »Weiter.«
    »Zu spät. Es wird nicht …«
    Der zweite Sprengkopf explodierte. Ein weiterer stecknadelkopfgroßer Lichtpunkt, der in Größe und Helligkeit anschwoll … Aber diesmal schwoll er immer weiter. Floyd kniff die Augen zusammen, aber auch das half nichts – das Licht drang ihm durch die Haut, durch die Knochen, wusch jeden Gedanken außer dem an die unerträgliche Helligkeit aus seinem Kopf. Es war wie eine göttliche Verkündung.
    Und dann ließ es langsam und gleichmäßig nach. Und dann – war nichts mehr.
    Nichts als leerer Himmel.
    »Die Explosion war ungedämpft«, sagte Auger mit seltsam teilnahmsloser Stimme, wie jemand, der im Traum sprach.
    »Die Rakete hat nicht versucht, die Explosion einzudämmen. Sie muss sich sicher gewesen sein, dass sie treffen würde.«
    »Da draußen ist nichts mehr.«
    »Ich weiß.«
    »Das heißt, dass wir es geschafft haben«, sagte Floyd. »Wir haben die Erde gerettet.«
    »Eine von ihnen«, berichtigte Auger ihn.
    »Eine reicht für heute. Man muss es ja nicht gleich übertreiben.«

 
Zweiundvierzig
     
     
    Über dem Pazifik war Tag und demzufolge Nacht über Paris. Wolken hüllten die Stadt ein, und Nebelschwaden hielten die Straßen fest in ihrem kalten Griff. Das Shuttle sank hindurch wie ein Stein durch Rauch – um Treibstoff zu sparen, bremsten sie den Abstieg nur minimal ab. Kurz über dem Erdboden rekonfigurierte das Schiff die Außenhülle und wurde halbwegs aerodynamisch. Mit Hyperschall-, dann Überschall- und schließlich Unterschallgeschwindigkeit senkte sich das Shuttle durch die Hauptmasse der Wolken in ein dunkles Fenster klarer Luft hinab. Einzelne Stadtbezirke stachen im Licht der Häuser, Straßenlaternen und fahrenden Autos durch die tief hängende Nebeldecke. Hier die Rundung des Montmartre und der Sacré-Cœur. Dort das dunkle Band der Seine, und noch etwas weiter der leuchtende
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