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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie
Autoren: Jason Dark
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sie noch immer die Pistole, doch der Arm war nach unten gesunken, und die Mündung wies zu Boden.
    Ich ging zu ihr. Sie schaute mich an und schüttelte den Kopf. »Habe… habe ich ihn getötet?« fragte sie mit tonloser Stimme.
    »Es war Notwehr«, erklärte ich.
    Sie schien mich nicht verstanden zu haben, denn ihr Blick ging durch mich hindurch.
    »Nein… nein… ich…«
    Hoffentlich hatte sie keinen Schock bekommen. Ich faßte Helen an der Schulter. »Mädchen, reiß dich zusammen. Wir haben es soweit geschafft, dann werden wir den Rest auch noch schaffen. Verstanden?«
    »Ja, ja…«
    Ich glaubte ihr nicht, aber die Zeit drängte. Schnell ging ich zurück und hob mein Kreuz auf. Normalerweise hätte ich mich intensiver um Helen gekümmert, aber ich dachte an den Pfarrer, der sich in großer Gefahr befand. Wir hatten zwar nichts vernommen, doch ich mußte einfach von einer Gefahr ausgehen.
    »Helen, kommen Sie!« drängte ich, nahm ihre Hand und zog sie vom Baumstamm weg.
    Sie schaute mich abermals mit ihrem leeren Blick an und flüsterte heiser:
    »Er ist tot, nicht?«
    »Sie haben mir das Leben gerettet, Helen, so müssen Sie es sehen. Es war Notwehr, wirklich.«
    »Notwehr?« Sie wiederholte das Wort und schien dem Echo nachzulauschen. Dann schüttelte sie den Kopf und hob gleichzeitig die Schultern, wobei sie auch noch die Waffe fallen ließ, die ich rasch aufhob und einsteckte. Helen konnte ich damit nicht mehr belasten. Sie hatte Schlimmes durchgemacht, und ich wollte sie, wenn eben möglich, aus der Gefahrenzone halten.
    Einen letzten Blick noch warf ich auf die Männer. Für die Verletzten wollte ich so schnell wie möglich einen Arzt besorgen, wenn alles vorüber war. Ihnen mußte geholfen werden.
    Dann gingen wir.
    Mit jedem Schritt wurden die Schreie der Toten lauter. Ich hatte einige erlösen können, aber wesentlich mehr befanden sich noch auf diesem Friedhof.
    Dem Friedhof der ewigen Schreie. Ein Selbstmörder-Friedhof. Die alten Sagen und Legenden hatten nicht gelogen. Es gab ihn, und ich befand mich inmitten des Strudels aus Grauen und Entsetzen. Im Vorbeigehen sah ich die Gesichter der Toten durch das dichte Gestrüpp schimmern. Wenn sich die Grabsteine nahe am Wegrand befanden, zeichneten sie sich bleich auf dem grauen Stein ab. Die Schreie malträtierten mich. Obwohl sie immer da waren, konnte ich mich nicht an sie gewöhnen.
    Helen hielt sich neben mir. Den Kopf hatte sie gesenkt. Manchmal sprach sie auch, allerdings mehr mit sich selbst, ich konnte kein Wort verstehen.
    Meine innere Uhr war auf Alarm eingestellt. Ich wußte plötzlich, daß wir auch ihn sehen würden.
    Sam Davies.
    Er mußte da sein. Ich spürte seine Nähe, seine Anwesenheit, obwohl ich ihn nicht sah. Dafür hörte ich ihn.
    Vor uns, wo der Weg in einem geheimnisvollen Dunkel verschwand, vernahm ich das donnernde Lachen. Nein, so lachte nicht der Pfarrer, da gab es nur einen, der das tat.
    Der Gehängte!
    Ich war am Ziel…
    ***
    Auch der Pfarrer bekam den schweren, feuchten Lehm zu spüren, der von der Schaufel geschleudert wurde und sein Gesicht traf. Er hatte sich aufgesetzt, wurde jedoch wieder zurückgeworfen und fiel halb auf den schwerverletzten McMullogh.
    Der wimmerte nur noch.
    Er mußte schreckliche Schmerzen haben. Der Geistliche hatte dessen Hand gesehen, wo ein Teil der Finger zur Hälfte fehlte. Ein grauenhaftes Bild und gleichzeitig eine Warnung für ihn, denn Sam Davies würde ebenso reagieren, wenn er das Grab verlassen wollte. Das hielt sich Michael Facius immer vor Augen. Manchmal gelang es ihm, einen Blick in die Höhe zu erhaschen. Er sah dann Sam Davies am Fußende des Grabes stehen und schaufeln. Breitbeinig hatte sich der Gehängte mit der Narbe unter dem schwarzen Gesicht aufgebaut. Er arbeitete wie ein Roboter. Schaufel für Schaufel schleuderte er in die kühle Tiefe des Grabs. Dabei sprach er von seiner Rache, die alle treffen würde, seine Arbeit wurde von den ewigen Schreien begleitet, die dem Selbstmörder-Friedhof ein gespenstisches Leben gaben. Pfarrer Facius kümmerte sich rührend um McMullogh. Er dachte dabei weniger an seine eigene Sicherheit, als nur an den Mann, der ein so schweres Schicksal hinter sich hatte.
    Die Schmerzen mußten sehr schlimm sein. McMullogh konnte sich kaum bewegen und dem nach unten fallenden Lehm ausweichen. Dafür sorgte der Geistliche. Er hatte seine Arme unter die Achseln des Mannes gelegt, kniete selbst und versuchte dabei in dem engen Grab, dem von oben
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