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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie
Autoren: Jason Dark
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Küster glaubte sogar, in dem Geist den Gehängten zu erkennen. Mit einer Waffe.
    Es war ein kurzer Säbel. Mit Schrecken fiel dem Küster ein, daß der Mann damit seine Familie getötet hatte. Ja, das war die Klinge. Er sah sogar noch eingetrocknetes Blut auf dem Metall, und er ahnte, daß auch er an der Reihe war.
    Aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Geist des Mörders hatte etwas anderes mit ihm vor. Er wollte den Friedhof zu einem Hort des Schreckens machen, vor dem sich alle Menschen fürchteten, und er drückte dem Küster den kurzen Säbel zwischen die Finger.
    »Nimm ihn!« kam der flüsternde Befehl. »Los, nimm ihn und töte dich damit!«
    »Was soll ich?«
    »Dich töten!« erklang es dumpf.
    Der Küster spürte den hölzernen Griff zwischen seinen Händen. Er wußte nicht, ob er einen Traum erlebte oder sich in der Realität befand, doch als er genauer auf die Klinge schaute, da wurde ihm klar, daß er nicht träumte. Es war die Wahrheit!
    »Stoß zu!« zischte der andere. »Es gibt keinen anderen Weg!«
    Der Küster verdrehte die Augen. Er schaute hoch zum Himmel, wo die grauen Wolken in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren, sondern wie gefährliche Schatten wirkten.
    Der Nebel wurde dichter. Er umfing die dicken Mauern der Kirche wie ein gewaltiges Tuch, und die Angst des Mannes steigerte sich ins Unermeßliche.
    »Mach es!« Der Geist des Gehängten zischte die Worte, er drängte den armen Küster, und dem blieb nichts anderes übrig, als dem Befehl Folge zu leisten.
    Er stieß mit dem Messer zu.
    Der heiße Schmerz drohte ihn zu zerreißen. Plötzlich hatte er das Gefühl, auseinanderzufallen. Er wollte schreien, hatte auch den Mund geöffnet, doch kein Wort drang über seine Lippen. Nicht einmal ein Krächzen oder Stöhnen.
    Der Küster blieb stumm…
    Das Messer steckte noch in seiner Brust, als er langsam nach links kippte und schwer auf die Seite fiel, wobei er den Mund noch weiter aufriß und ein letzter verzweifelter Atemzug über seine Lippen drang. Dann war er tot…
    Der Geist aber schwebte über ihm. Er stieß ein Geräusch aus, das entfernt an ein Lachen erinnerte. Er hatte seinen Spaß gehabt. Der Friedhof war dem Bösen geweiht. Für alle Zeiten sollten die ewigen Schreie über den Totenacker wehen…
    ***
    Das alles geschah vor mehr als 200 Jahren nahe der kleinen Stadt Walham. Die Menschen, die den Küster damals fanden und mit dem Aberglauben fest verwurzelt waren, zogen sofort die richtigen Schlüsse. Für sie war der Friedhof entweiht. Jemand hatte dort Selbstmord verübt. Ein Gerechter konnte dort nicht mehr begraben werden, das war einfach unmöglich.
    So verkam der Friedhof, und auch in die Kirche traute sich kaum jemand. Als der Pfarrer starb, fand er keinen Nachfolger. So blieb die Gemeinde jahrelang ohne Geistlichen, bis irgend jemand auf die Idee kam, eine neue Kirche zu bauen. Weit weg von dem Ort des Schreckens. Nahe der Kirche wurde auch ein neuer Friedhof angelegt, und die Menschen vergaßen den alten sehr schnell.
    Doch die ewigen Schreie waren nicht verstummt. Im Gegenteil, die klangen wieder auf.
    Schrecklicher als je zuvor. Und der kleine schottische Ort wurde in einen wahren Strudel des Schreckens hineingerissen…
    ***
    Als James McMullogh nach Hause kam, fiel ihm sofort die herrschende Stille auf. Er ging erst gar nicht ins Haus, sondern blieb in der offenen Tür stehen, denn die Stille war so ungewohnt, daß er direkt eine Gänsehaut bekam.
    Warum meldete sich Gladys denn nicht? Sie wollte doch nicht weg, sie mußte zu Hause sein, etwas anderes konnte er sich nicht vorstellen. Seltsam, das alles.
    Der 40jährige Vertreter schüttelte den Kopf und hob die Schultern. Vielleicht war sie sauer, daß er in den letzten beiden Tagen nicht angerufen hatte, aber es war zuviel zu tun gewesen. Bei dem warmen Wetter orderten die Geschäftsleute die doppelte Menge an Sommerkleidung, und gegen Abend war er immer todmüde in sein Bett gefallen. Hatte sie deshalb das Haus verlassen?
    McMullogh betrat den Flur und wischte eine Haarsträhne aus der Stirn. Er fühlte dabei den Schweiß unter seinen Fingerkuppen, und das wiederum erinnerte ihn daran, daß er unbedingt eine Dusche nehmen mußte.
    »Gladys!« Sein Ruf hallte durch das Haus. Er mußte auch in den oberen Etagen zu hören sein, wovon die zweite schräg war und in ihrer Bauweise dem Dach folgte, aber seine Frau meldete sich auch jetzt nicht. Für James der endgültige Beweis, daß sie nicht zu Hause war.
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