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Ewige Schreie

Ewige Schreie

Titel: Ewige Schreie
Autoren: Jason Dark
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Füße vorsichtig aufsetzte, schienen ihm seine Schritte überlaut vorzukommen. Sie dröhnten regelrecht in den Ohren.
    Zögernd ging er auf diese Ecke des Speichers zu. Sein Kopf streifte die alten Holzbalken, es kümmerte ihn nicht, er merkte auch nicht mehr die Hitze, sondern sah nur die Gestalt, die dort in der Ecke stand. Es gab mehrere Lichtschalter. An einem mußte der Vertreter vorbei. Er hob den Arm und legte den Schalter um. Automatische Bewegungen, die eigentlich gar nicht hatten sein sollen, aber er wollte Gewißheit haben. Es wurde heller.
    Sogar über der hinausgezogenen Dachgaube, so daß James McMullogh alles deutlich erkennen konnte. Jede Kleinigkeit nahm er in sich auf. Endlich sah er seine Frau.
    Sie hatte sich erhängt!
    ***
    Zuerst drang nur ein hohl klingendes Pfeifen über die Lippen des Mannes. Es war der angehaltene Atem, der sich freie Bahn verschaffte. Dann schüttelte McMullogh den Kopf, hob die Arme in einer hilflos anmutenden Bewegung, ließ sie auf halber Höhe stehen, ballte die Hände und begann zu schreien. Ja, er schrie!
    Die Laute waren kaum menschlich zu nennen, die aus seinem Mund drangen. Aus ihnen war all das Entsetzen und die Angst zu hören, die der Mann empfand. Er sah ein Bild, das sich wie mit einem Meißel geschlagen in sein Bewußtsein grub.
    Seine Frau hing in einer Schlinge. Er wußte nicht, wie lange sie schon tot war. Die Haut war aufgedunsen, die Augen verdreht, das braune Haar mit den rötlichen Streifen zeigte verfilzte Ansätze. Sie trug ein leichtes rotes Sommerkleid, und ihre nackten Füße baumelten etwa kniehoch über dem Boden. Wie Glasmurmeln wirkten die Augen. Ihr Blick war starr auf den sie betrachtenden Mann gerichtet, aber sie konnte ihn nicht mehr sehen, der Tod hatte sie längst ereilt.
    Selbstmord…
    Sie hatte sich selbst aufgehängt. Aber weshalb, zum Teufel? Aus welch einem Grund hatte Gladys zum Strick gegriffen. Es gab kein Motiv, ihr Leben war glücklich gewesen, sie hatten zwar keine Kinder gehabt, trotzdem hatte sich Gladys immer ausgefüllt gefühlt. Und jetzt dieser Schritt. Dieser verdammte, endgültige, nicht mehr rückgängig zu machende Schritt.
    James McMullogh stand vor einem Rätsel. Er wußte auf seine Fragen keine Antworten. Er stand dem Problem völlig hilflos gegenüber, und er merkte, wie seine Zähne im Schüttelfrost und wie bei einem Fieberanfall aufeinanderschlugen. Tränen rannen aus seinen Augen. Als helle Bäche liefen sie an seinen Wangen entlang. Die Knie wurden weich, er konnte sich einfach nicht mehr auf den Beinen halten und brach zusammen. Sein Kopf pendelte nach vorn, während ein trockenes Schluchzen aus seiner Kehle drang. Es gab einfach nichts mehr, wofür es sich noch hätte gelohnt, zu leben. Das Schicksal hatte ihn hart und unbarmherzig getroffen.
    Gladys war nicht mehr da.
    Selbstmord!
    Dieser Begriff schnitt durch sein Bewußtsein. Es war wie ein stummer Schrei, und ein Schrei drang auch aus der Kehle des Mannes.
    »Warum?« brüllte er. »Warum hast du das getan?«
    Durch die offenstehende Speichertür drang das Echo und hallte durch das Haus.
    Er schrie noch zweimal, dann konnte er nicht mehr, seine Stimme versagte, der Kopf sank nach vorn, und er blieb in seiner Haltung sitzen. James McMullogh war ein gebrochener Mann.
    Wie lange er auf der Stelle gehockt hatte, konnte er nicht sagen. Irgendwann hob er den Kopf, schaute sich um und stellte fest, daß die Sonne weitergewandert war.
    Sie erreichte nicht einmal die kleinen Fenster an der Nordseite des Speichers. Dämmer füllte den großen Raum unter dem Dach, und der Staub lag in der Luft wie lange Streifen. Aus rot geweinten Augen schaute er auf seine Frau. Es herrschte Durchzug, der auch den Körper traf. Er pendelte hin und her, als würden unsichtbare Hände mit ihm spielen.
    James McMullogh lief es kalt den Rücken hinab. Die Haut dort zog sich zusammen, er zitterte wie Espenlaub, seine Mundwinkel zuckten, der Blick seiner Augen hatte einen leeren Ausdruck.
    »Gladys!« hauchte er. »Gladys, mein Gott…«
    Sie gab keine Antwort. Tote schweigen, und mit Erschrecken wurde James McMullogh klar, daß er seine Frau begraben mußte. Er konnte sie nicht mehr zurückholen, sie würde in ein kaltes Grab kommen, und er sah jetzt schon die Gesichter der Menschen, die sich an der Beerdigung beteiligten. Das ganze Dorf würde auf den Beinen sein. Man war neugierig, man wollte schauen, es war eine Sensation. Jemand hatte Selbstmord begangen…
    Oder war es
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