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Ewig sollst du schlafen

Ewig sollst du schlafen

Titel: Ewig sollst du schlafen
Autoren: Lisa Jackson
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andere Dezernate und Reporter, die den Fall immer wieder aufwärmen wollten, und selbst der Oberstaatsanwalt von Atlanta nachstellten. Seit er Atropos überführt hatte, eine Frau, die entschlossen gewesen war, eine der vermögendsten und berüchtigtsten Familien von Savannah auszulöschen, nahm sein Ruf übertriebene Dimensionen an, und sein Privatleben wurde unentwegt auseinander genommen und kommentiert.
    Während der vergangenen sechs Monate war er entschieden häufiger, als ihm lieb war, zitiert, fotografiert und interviewt worden. Er hatte nie gern im Rampenlicht gestanden und immer bewusst zurückgezogen gelebt. Er hatte selbst ein paar Leichen im Keller, Geheimnisse, die er lieber für sich behielt, aber die hatte schließlich jeder. Reed wäre seinem Beruf lieber weiterhin ohne die Belastungen des Ruhms nachgegangen. Er verabscheute all das Interesse, besonders vonseiten der Reporter, die seine Vergangenheit zu faszinieren schien und die sich offenbar zum Ziel gesetzt hatten, jede kleinste Information über ihn zu sammeln und die Welt wissen zu lassen, was für ein Typ Pierce Reed war. Als ob sie auch nur die geringste Ahnung hätten … Er hob den Brief und den Umschlag mit einem Taschentuch auf und kramte einen Plastikbeutel aus seiner Schreibtischschublade. Behutsam schob er Brief und Umschlag hinein. »Ich glaube nicht, dass was dahintersteckt, aber man kann ja nie wissen. Ich bewahre das lieber auf, falls es vielleicht doch noch als Beweismaterial gebraucht wird.«
    »Beweismaterial wofür? Dass da draußen ein weiterer Verrückter frei herumläuft?«
    »Irgendein Verrückter läuft immer frei herum. Ich behalte es nur für alle Fälle und schicke ein Rundschreiben übers lokale System und über NCIC, um abzuchecken, ob irgendeine andere Behörde im Land etwas Ähnliches gekriegt hat.« Er fuhr seinen Computer hoch und loggte sich in das vom FBI betriebene National Crime Information Center ein. »Vielleicht landen wir ja einen Glückstreffer«, sagte er zu Morrisette. »In der Zwischenzeit mache ich Pause und geh rüber zum Friedhof.«
    »Meinst du, du findest da was?«
    »Nein, eigentlich nicht. Aber man kann nie wissen.« Er schob die Hände durch seine Jackenärmel. »Wie ich schon sagte, wahrscheinlich ist es nur ein Spinner. Einer, den es anmacht, eine verschwommene Drohung gegen die Polizei loszulassen.«
    »Nicht gegen die Polizei. Dieser Spinner hat es genau auf dich abgesehen.« Sylvie rückte ihr Schulterhalfter zurecht. »Ich komme mit.«
    Er widersprach nicht, es wäre sinnlos gewesen. Sylvie gehörte zu der Art Bullen, die ihren Instinkten folgten und Regeln außer Acht ließen – zu der Art starrsinniger Frauen, denen kein Mensch eine einmal getroffene Entscheidung ausreden konnte. Er ließ den Plastikbeutel in eine Aktenschublade gleiten.
    Sie verließen das Gebäude durch eine Seitentür, und der kalte Winterwind schlug Reed hart ins Gesicht. Das Wetter, im Dezember gewöhnlich mild, war momentan grässlich, Folge eines Kälteeinbruchs an der Ostküste, der bis in den Süden die Ernte gefährdete. Während sie die paar Häuserblocks am Columbia Square vorbeischritten, gelang es Morrisette, sich im Kampf gegen die steife Brise eine Zigarette anzuzünden. Der Colonial Cemetery, der älteste Friedhof in Savannah, war die letzte Ruhestätte von über siebenhundert Opfern der Gelbfieber-Epidemie im neunzehnten Jahrhundert und Schauplatz zahlreicher Duelle in vergangenen Zeiten. General Sherman hatte das Landstück während des Bürgerkriegs beziehungsweise des Aggressionskriegs der Nordstaaten, wie viele Einheimische ihn nannten, als Lagerplatz genutzt. Schatten spendende Bäume, im Augenblick allerdings unbelaubt, schienen im Wind zu zittern, und trockene Blätter fegten über die Wege zwischen den alten Grabsteinen und historischen Gedächtnis tafeln, wo nach Auffassung vieler Menschen noch immer Gespenster hausten.
    Nach Reeds Meinung war das alles Quatsch. Und obwohl dunkle, dicke Wolken über diese Begräbnisstätte hinwegzogen, wirkte sie an diesem Morgen eher wie ein Park denn wie ein Friedhof.
    Nur wenige Fußgänger schlenderten zwischen den Grabsteinen umher, und nichts an ihnen war verdächtig. Ein älteres Paar ging Hand in behandschuhter Hand und studierte die Inschriften, drei Teenager, die wahrscheinlich in der Schule hätten sein müssen, rauchten und drängten sich flüsternd zusammen, und eine Frau mittleren Alters, eingemummelt in Skimütze, Parka und Wollhandschuhe,
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